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Feind des Feindes

Feind des Feindes

Titel: Feind des Feindes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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wütend verteidigen, falls die Leute unten im Irrenhaus etwa damit anfingen, in der Abendzeitung Andeutungen zu streuen, militärische Agenten hätten ebenfalls Immunität erhalten.
    Jurij Tschiwartschew bestellte bei seinem Sekretär ein Glas Tee und wartete, bis dieser den Raum verlassen hatte, bevor er sich mit dem Hamilton-Bericht hinsetzte.
    Schon die erste Seite brachte ihn dazu, die Augenbrauen hochzuziehen.
    Der junge Herr Fregattenkapitän lebte in Moskau also in Saus und Braus. Das war gelinde gesagt erstaunlich. Er ging praktisch jeden Abend aus und frequentierte hauptsächlich die Bars im Intourist und im National, aß so gut wie jeden Abend in einem Restaurant, und es waren ziemlich feuchte Veranstaltungen. Überdies warf er mit Geld um sich wie der schlimmste Schwarzwechsler.
    Aber jeder einzelne Geldschein, den man unter die Lupe genommen hatte, stammte aus offiziellen Kanälen der schwedischen Botschaft.
    Er war meist betrunken, wenn er nach Hause ging, fuhr in diesem Zustand allerdings nie Auto.
    Jurij Tschiwartschew lächelte in sich hinein. Nein, für einen Nachrichtendienstoffizier ist es sicher am klügsten, sich nicht bei Trunkenheit am Steuer erwischen zu lassen. Im Unterschied zu gewissen anderen Leuten, deren Namen Tschiwartschew am liebsten vergessen hätte.
    Hamilton hatte mit etlichen Prostituierten fraternisiert, sowohl solchen, die in Diensten des Staates standen, als auch anderen, die man, nun ja, als Früchte der Perestrojka und des freien Unternehmertums ansehen mußte. Er war aber sozusagen nie richtig zur Sache gegangen, obwohl er die Truppe bei mehreren Gelegenheiten eingeladen hatte.
    Auf seinen Studienreisen, der einen nach Leningrad, der zweiten nach Kaliningrad - wie zum Teufel hatten sie ihm überhaupt erlauben können, dorthin zu reisen? -, hatte er einen süßen jungen Burschen von der Botschaft bei sich gehabt.
    In Moskau wurde überlegt, ob der bezaubernde männliche junge Begleiter möglicherweise Hamiltons Unwillen erklärte, bei Prostituierten aufs Ganze zu gehen.
    Jurij Tschiwartschew fegte den Gedanken beiseite. Irgendwo mußte es selbst bei der schwedischen Neigung zu solchen Schweinereien eine Grenze geben. Es war ein fast unangenehmer Gedanke, daß ein so hervorragender Kollege solche Neigungen haben könnte.
    Überdies wurde dieser Überlegung auf den folgenden Seiten sozusagen auf dem Fuße widersprochen, denn dort wurde Fräulein Irma Dserschinskajas - lustiger Name, übrigens, sie konnte doch wohl kaum mit dem alten Felix verwandt sein? - offenbar recht intimes Verhältnis zu dem jungen Hamilton behandelt.
    Die beiden wurden viel in der Stadt zusammen gesehen. Hamilton dinierte oft im National, wenn sie dort spielte. Sie war dort als Pianistin angestellt. Er hatte sie mehrmals sogar zu Hause besucht, einmal gar in Abwesenheit ihrer Eltern, und überdies gingen sie mehrere Abende pro Woche gemeinsam ins Theater.
    Der junge Mann widmete sich einem ausschweifenden und zeitraubenden Nachtleben. Seine Arbeit bei der schwedischen Botschaft war, soweit man in Moskau wußte, hauptsächlich technischer Natur. Natürlich war es schwer, sich ein Bild davon zu machen, wie er diese Arbeit erledigte und wie sie sich mit einem so besorgniserregend hohen Alkoholkonsum vereinbaren ließ.
    Die Prostituierten, sowohl die eigenen wie die Perestrojka-Damen, die man verhört hatte, schilderten ein recht eindeutiges Bild. Der Mann stand unleugbar kurz davor, zuviel auszuplaudern. Er hatte erzählt, er sei Militär, habe im Ausland ein paar spannende Jobs gehabt, und Intrigen zu Hause hätten dazu geführt, daß man ihm einen idiotischen Job zugewiesen habe, der weit unter seinen Fähigkeiten liege. Und: Er habe Heimweh.
    Er stromerte oft allein auf den Straßen herum, anscheinend plan und ziellos (und in Moskau hatte man unleugbar etliche Mühe darauf verwandt, so etwas wie einen Plan zu entdecken), machte Sightseeing wie ein Tourist, schlenderte in den Parks herum, fuhr mit der U-Bahn oder mit dem Wagen durch die Stadt. Soweit sich bisher hatte feststellen lassen, hatte er keinen einzigen Kontakt gemacht, der die Sicherheitsinteressen der sowjetischen Seite berührte, dafür gab es jedoch um so mehr bemerkenswerte Kontakte, was die Sicherheitsperspektive seines eigenen Landes betraf.
    Waren die Schweden dabei, einen ihrer besten operativen Leute in einem sinnlosen bürokratisch-technischen Job in Moskau zu verheizen? Waren sie dabei, einen verbitterten und rachsüchtigen Mann aus

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