Feind des Feindes
damit verteidigen, die ganze TRISTAN-Geschichte sei eine sowjetische Provokation.
Damit erhob sich die Frage, inwiefern sich das auf das sowjetische Agentennetz in Schweden demoralisierend auswirken und laufende Anwerbungsoperationen erschweren würde. Das schlechteste Marketing, das man sich überhaupt vorstellen konnte, um mit einem westlichen Begriff zu denken, wäre es ja, wenn der Eindruck entstünde, die Sowjetunion würde ihre eigenen Agenten verraten.
War es möglich, einen der eigenen Leute bei der schwedischen Sicherheitspolizei dazu zu bringen, die Version zu verbreiten, gerade die eigene und so unglaublich intelligente Arbeit habe zu der Erkenntnis geführt, daß Sandström einen Beschützer gehabt haben mußte, und diese unerhört intelligente Arbeit habe anschließend dazu geführt, daß dieser Mann, das heißt der PFAU, aufgespürt worden sei.
Unter den der Säpo nahestehenden Journalisten gab es genügend nützliche Idioten, die diese vielleicht ziemlich verführerische und effektive Desinformation verbreiten konnten.
Diese elenden Dummköpfe waren ja nicht einmal selbst auf diesen Gedanken gekommen, sie hatten nie das Offenkundige gesehen, daß nämlich Sandström einen Schutzengel gehabt hatte. Insofern bedeutete das Unternehmen REORGANI- SATION ein völlig unnötiges Opfer.
Es war höchst ungewiß, wie sich diese Skandale auf die schwedische Wahl auswirken würden, und im übrigen war es ja eher Sache der Tschekisten, das herauszufinden. Eine neue bürgerliche schwedische Regierung brachte natürlich das Risiko mit sich, daß der Informationsfluß der Tschekisten aus dem inneren Regierungszirkel abgeschnitten würde, sofern das Ganze keine technische Operation war. Aber irgendwie schafften es diese Bruder immer wieder, sich glänzende Informationen zu beschaffen, was es wahrscheinlicher machte, daß ihre Quellen eher Menschen waren als elektronische Geräte.
Das KGB wünschte also keine politischen Skandale im schwedischen Wahlkampf, wie sehr das auch den Interessen des GRU schaden konnte.
Und aus der Sicht des GRU war eine sozialdemokratische Regierung natürlich besser als eine bürgerliche. Wenigstens einmal gab es ein gemeinsames Interesse mit den Tschekisten.
Aber was immer man auch unternahm, letztlich hing es davon ab, was einzelne Angehörige der schwedischen Sicherheitspolizei publik machen würden. Erst wenn die Schweden ihren Zug machten, ließen sich die Möglichkeiten zu einem Gegenzug beurteilen.
Es blieben jedoch nur noch zehn Tage bis zur schwedischen Wahl, und deshalb konnte man auch darauf warten, was die Sicherheitspolizei in ihrem Leib und Magenblatt schon bald publizieren lassen würde. Folglich war es an der Zeit, die Gegenpublizität vorzubereiten: Es war die unglaublich intelligente Arbeit der Sicherheitspolizei, die zur Entlarvung des PFAUs geführt hatte, und der Einfall, ihm Immunität zu gewähren, ging nicht auf eine Initiative der Regierung zurück, sondern war der unglaublich intelligenten Arbeit des Sicherheitsdienstes zu verdanken.
Das war vorläufig die Lösung. Die Abendzeitung würde genügend Material erhalten, um in der nächsten Zeit für Skandale und Schlagzeilen zu sorgen.
Jurij Tschiwartschew klappte die dicke Mappe mit dem handgeschriebenen Aufkleber zusammen, auf dem es lakonisch hieß, zwischen den Deckeln gehe es um die Angelegenheit 0- 46/71 PFAU.
Es war kein sehr bemerkenswerter Entschluß, zu dem er gekommen war, aber immerhin ein Entschluß.
Er machte sich ein paar Notizen für die Befehlsausgabe am Abend und verschloß die PFAU-Akte in seinem hohen Panzerschrank an der gegenüberliegenden Wand des Zimmers und hoffte, diese Angelegenheit in der nächsten Zeit nicht mehr auf seinem Schreibtisch sehen zu müssen.
Da war noch ein sehr dicker Bericht aus Moskau, dem er den restlichen Nachmittag widmen mußte, und es erstaunte ihn, daß er sich so schwer anfühlte, als er sah, worum es ging.
Hamilton hätte eigentlich nicht zu soviel Text Anlaß geben können, das sah ihm nicht ähnlich.
Jurij Tschiwartschew legte die dicke Akte mitten auf seine braune leere Schreibtischplatte und trat ans Fenster. Er sah eine Zeitlang in den Regen hinaus und betrachtete die blaue Leuchtreklame auf der anderen Seite, die ihn immer wieder daran erinnerte, daß dort die sowjetfeindlichste Publikation Nordeuropas zu Hause war, die in zwei Wochen überdies so etwas wie ein Regierungsorgan werden konnte.
Die Redakteure dort würden den Generalstab jedenfalls
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