Feind des Feindes
jetzt haben wir eben einen kleinen Lada in unserem diplomatischen Fuhrpark.«
»Wenn alles gutgeht, ja.«
»Aber morgen abend nimmst du unseren Wagen? Wie ich höre, bist du in der französischen Botschaft eingeladen. Du scheinst ja ungeheuer populär geworden zu sein. Fällt es dir nicht schwer, ohne Frau zu kommen?«
»Ja, ich nehme unseren Wagen mit dem Fahrer, hab ihn schon bestellt. Nein, es ist keineswegs schwer ohne Frau. Es bedeutet nur, daß sie für mich irgendeine interessante Tischdame suchen müssen, die nicht mit einem Militärattaché verheiratet ist. Man könnte sagen, daß mir so der Frauentausch erspart bleibt.«
»Aha. Nun, ich wünsche viel Spaß. Wie du weißt, morgen früh um neun Konferenz.«
Carl gab sich Mühe, sein Gesicht vollkommen ausdruckslos und neutral erscheinen zu lassen, als sein Vorgesetzter aufstand, mit dem Kopf nickte und das Zimmer verließ. Sowohl der Oberst als auch der Kapitän zur See fanden es sicher ungerecht und möglicherweise etwas eigentümlich, daß Carl in letzter Zeit immer mehr persönliche Einladungen des westlichen Diplomatenzirkels erhalten hatte. Und Carl hatte keine Lust, den einfachen Zusammenhang zu erklären.
Seit dem ersten kleinen Einführungsfest für den frischgebackenen jungen Marineattaché, das Oberst Nordlander rund eine Woche nach Carls Ankunft in seinem Bungalow arrangiert hatte, hatte es für Carl geradezu Einladungen gehagelt.
Das lag jedoch nicht an seinen einzigartigen gesellschaftlichen Talenten oder an besonders interessanten Ansichten zu Dingen, zu denen auch alle anderen ihre Ansichten hatten. Es gab einen sehr einfachen gesellschaftlichen Grund.
Die diplomatische Vertretung der Bundesrepublik konnte unmöglich einen westlichen Kollegen übergehen, der zwar jung und grün war, jedoch das Bundesverdienstkreuz Erster Klasse trug. Und die Kommandeursklasse der Ehrenlegion hatte für die Franzosen eine fast religiöse Bedeutung. Und als Carl dem amerikanischen Marineattaché vorgestellt wurde, hatte sich dessen Blick sofort an die schmalen Goldschwingen geheftet, die Auszeichnung, die ebenso diskret wie auffällig Carls rechte Brustseite schmückte; bei allen offiziellen Anlässen trugen die Militärattachés Uniform, sogar auf der einfachsten Cocktailparty. Diese Auszeichnungen waren Carls gesellschaftliche Eintrittskarte.
Damit hatte sich schnell eins aus dem anderen ergeben, und inzwischen hatte Carl eine Frequenz von zwei bis drei Einladungen pro Woche erreicht.
Das paßte ihm vorzüglich ins Konzept. Jeder Abend im Dienst war ein Abend, an dem er von seinem eher dubiosen Dienst in der »Heineken Beer Bar« im National oder in der Touristenfalle und Hurenbar im dritten Stock des Hotel Intourist entbunden war.
Am heutigen Abend würde er sich auch nicht wie ein Schwein benehmen müssen, da er von Irma eingeladen war, bei ihren Eltern zu Hause zu essen. Und die Dserschinskis waren mit Alkohol äußerst mäßig.
Nach russischen Verhältnissen wohnten sie großartig in einer Drei-Zimmer-Wohnung in der Bolschoja Akademitscheskaja-Straße mit Aussicht auf einen Park und einen großen, künstlich angelegten Teich. Die Wohnung lag nicht sehr zentral und abseits der U-Bahnlinien, war aber groß und ansehnlich. Sie hatten die Wohnung aufgrund der gesammelten wissenschaftlichen Verdienste der Familie erhalten. Das große Wohnzimmer wurde von Irmas Flügel beherrscht, und vor dem Abendessen versammelte sich die Familie immer zu einer Musikstunde.
Bei den Gesprächen zu Hause bei Familie Dserschinski war es um die Selbstverständlichkeiten der Zeit gegangen, um Gorbatschow, Glasnost, die verringerte Kriegsgefahr in der Welt, das Ende des unglücklichen Krieges in Afghanistan, den Besuch Präsident Bushs; um all das, was soviel Optimismus ausstrahlte, wenn man sich mit normalen Russen unterhielt, all das, was seine Kollegen, die Militärattachés, auch ständig erörterten, wenn auch mit der Fortsetzung, dem Alptraumszenario: Wenn es mit der Perestrojka schiefging und die konservativen Kräfte wieder an die Macht kämen, würde die Welt wieder in den Zustand des Kalten Krieges zurückversetzt werden.
Es war immerhin die dritte Chance der Russen zu einem Tauwetter und, wie es die westlichen Botschaften einschließlich der schwedischen sahen, auch die letzte.
Es hätte der Familie Dserschinski gutgehen müssen. Sie waren zwar Juden, aber nicht besonders glaubenseifrig. Die Mädchen hatten eine Ausbildung, die Eltern gutbezahlte Jobs. Die
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