Feind des Feindes
Wahrheit anders aus: Hamilton war dort gewesen und hatte sie freigeschossen und die Banditen getötet. Peter Sorman wollte nicht, daß das herauskam, und aus diesem Grund hatte man Hamilton in die Wüste geschickt. Nun ja, das sei der schwedische Ausdruck dafür, das heißt weit weg, nach Moskau.
Jurij Tschiwartschew war zufrieden, als er in die relative Geborgenheit seines Teils des Botschaftsgebäudes zurückkehrte. Es war die Mühe wert gewesen.
Die Hypothese konnte also stimmen. Hamilton war tief gekränkt über die ungerechte Behandlung. Nicht genug damit, daß man ihn sogar verdächtigt hatte, ein sowjetischer Spion zu sein, man hatte ihn überdies, grausame Ironie, ausgerechnet nach Moskau geschickt, nur weil ein hochgestellter Bonze ihn nicht ausstehen konnte.
Es sah aus, als könnte alles stimmen.
Dennoch gab es da eine ganze Menge, was einfach zu gut war. Hamilton führte in Moskau immerhin in mehr als nur einer Hinsicht ein Doppelleben. Er betrog seine eigenen Leute, wenn er sich wie die Parodie eines Sicherheitsrisikos aufführte. Aber mochte er an manchen Abenden wie ein Schwein saufen, verhielt er sich an anderen Abenden sehr anständig, beispielsweise in Gesellschaft dieser Pianistin mit dem komischen Namen.
Spielte er den Alkoholiker? Und wenn er es tat, welchen anderen Zweck konnte das haben, als den Gegner dazu zu bringen, ihn nicht mehr ernst zu nehmen? Und warum sollte Moskau so in falsche Sicherheit gewiegt werden?
Hamiltons Spezialität waren nasse Jobs, da gab es keinen Zweifel, ehrlich gesprochen: Mord und Sabotage.
Nein, es war absurd. So arbeiteten die Schweden nicht. Und überdies: Wer oder was sollte denn in Moskau, der Hauptstadt der Sowjetunion, zum Ziel einer solchen Aktion werden?
Es war eine gute, altbewährte Regel, an die man sich unbedingt halten mußte, keine voreiligen Schlüsse zu ziehen und das Offenkundige nie für offenkundig zu halten.
Also. Strikte Ablehnung jedes Vorschlags, Hamilton mit hübschen jungen Männern und ähnlichem zu provozieren. Jetzt galt es, die vermutlich etwas intimeren Berichte abzuwarten, die folgen würden, nachdem man diese Pianistin angeworben hatte. Mindestens ein halbes Jahr abwarten, sofern sich keine neuen und besorgniserregenden Tendenzen zeigten. Anschließend ein direkter Annäherungsversuch.
Das war immerhin eine Methode, die nicht total mißlingen konnte. Wenn Hamilton ablehnte, wäre das nur ein vorläufiges Nein, und niemand wäre erstaunt oder entrüstet. Falls Hamilton dann zu einem anderen Entschluß kam, war es an ihm, den nächsten Kontakt herzustellen. Er beherrschte das Spiel schließlich.
Im Grunde wäre es besorgniserregender, wenn er auf der Stelle ja sagte. Aber all das hatte zunächst einmal Zeit. Hamiltons Akte in Jurij Tschiwartschews Panzerschrank war inzwischen eine der dicksten überhaupt und entschieden die interessanteste.
Er lächelte über einen Einfall. Aber vielleicht war es genau der richtige Weg: Wenn die Stunde kam, würde er selbst nach Hause fahren und selbst die Annäherung übernehmen können. Es war nur vernünftig, daß es jemand tat, der viel über Hamilton wußte und sowohl Schweden als auch den schwedischen Hintergrund des Mannes kannte.
Es würde eine interessante Begegnung werden, zu welchem Ergebnis sie auch führen mochte. Etwa in einem halben Jahr war es in der schwedischen Residentur ohnehin Zeit für eine Wachablösung.
Es war ein schöner Gedanke, daß er zum Abschluß seiner Zeit als Resident in Schweden einen ihrer allerbesten Männer selbst anwerben würde. Im Augenblick mochte Hamilton vielleicht nicht sonderlich wichtig erscheinen. Er war aber erst vierunddreißig Jahre alt und schon Fregattenkapitän. Überdies war er in den Kreisen der westlichen Militärattachés in Moskau so etwas wie ein gesellschaftlicher Erfolg. Er hatte Verbindungen, die künftig von Bedeutung sein konnten, und mußte wohl beim schwedischen Nachrichtendienst als typischer Mann der Zukunft angesehen werden. Denn nach seiner Zeit als Militärattaché mußte er ja irgend etwas werden, und an den Job eines geheimen Operateurs war wohl lange nicht mehr zu denken. Nein, wenn er keine allzu großen Fehler machte, würde er sehr schnell Karriere machen. Noch besser: Wenn es dem GRU gelang, ihm dabei zu helfen.
Es war natürlich noch viel zu früh, um auch nur eine Vorahnung davon zu gewinnen, wie eine solche Annäherung und die nachfolgende Anwerbung gelingen sollten; immerhin hatte man schon bei schwierigeren
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