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Feind des Feindes

Feind des Feindes

Titel: Feind des Feindes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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Ereignisse Selbstvorwürfe.
    Das war für einen Mann wie Tschiwartschew nicht ganz leicht zu verstehen. Hamilton war immerhin Offizier, und die Gegner waren in diesem Fall Terroristen gewesen.
    Die Puzzlestücke stimmten jedoch mit anderen Informationen überein. Man wußte nämlich, daß Hamilton sich in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten hatte, daß er kurze Zeit in einem Militärkrankenhaus in Syrien gepflegt und vom Nachrichtendienst der dortigen Luftwaffe verhört worden war; man hatte Kopien aus Damaskus angefordert, die jedoch noch nicht eingetroffen waren.
    Und das Ereignis selbst schließlich, als die Bundesrepublik endgültig mit ihren Terroristen abrechnete, war ja niemandem entgangen. Jurij Tschiwartschew hatte schon immer vermutet, daß Hamilton irgendwie in diese Operation verwickelt gewesen war, und hier war nun die Bestätigung. Die Informationen dieser LERCHE stimmten also.
    Es hatte den Anschein, als lichtete sich allmählich der Nebel. Man hatte Hamilton aus seinem qualifizierten Geheimdienstjob gefeuert, man hatte ihn aus politischen Gründen geopfert, und es war fast eine Ironie, daß man ihn ausgerechnet nach Moskau geschickt hatte, wo er sich mit ziemlich trivialen Bearbeitungsproblemen befassen sollte, welche das Berichtssystem der Militärattachés betrafen, und das war ein Job, den Hamilton beim Vergleich mit seinen früheren Arbeitsaufgaben natürlich fast als sinnlose Routinebeschäftigung ansehen mußte.
    Er war vierunddreißig Jahre alt, ledig und überdies erstaunlich sentimental. Er nahm seinen Job nicht ernst, verstieß aus Nachlässigkeit gegen alle erdenklichen Sicherheitsbestimmungen und verschwieg seinen Vorgesetzten einiges. Er war schon jetzt ein oft und gern gesehener Gast bei Botschaftsempfängen der westlichen Diplomaten. Er trank zuviel und schien danach in Grübeleien zu versinken.
    Es sah unleugbar sehr gut aus. Es war ein klassisches Verhaltensmuster.
    Es sah gut aus, möglicherweise jedoch zu gut. Man durfte den Gegner nie unterschätzen und mußte immer davon ausgehen, daß dieser intelligenter und besser informiert war als man selbst.
    Es war entschieden zu früh, aus dem bisher vorliegenden Material operative Schlußfolgerungen zu ziehen. Jurij Tschiwartschew schlug sich mit Nachdruck alle Überlegungen aus dem Kopf, wie sie die Enthusiasten in Zentral schon jetzt anzustellen begannen.

3
    Carls neuer Lada 1600 lief vorzüglich. Der Motor schnurrte wie eine Nähmaschine, und es war fast so, als hätte das GRU den Wagen getunt, um bei der Gelegenheit einen kleinen Sender unter dem linken Kotflügel einzubauen; irgendwo jedenfalls war etwas diskret in einem versiegelten Hohlraum eingeschweißt. Wie stellten sie sich an, wenn sie die Batterien auswechseln wollten?
    Würden sie etwa vorschlagen, daß er den Wagen zur Inspektion brachte? Wie auch immer. Es spielte keine Rolle, da er den Wagen auf dem Weg zur Endstation nicht benutzen würde.
    Er versuchte, sich auf die vor ihm liegende Zeit zu konzentrieren, etwa eine Woche im voraus, denn in dieser Zeit brauchte er nur an zwei Dinge zu denken, die von Bedeutung waren.
    Die Leningradskoje Chaussee würde bald in den Leningradskij Prospekt übergehen, an dem eins der denkbaren Theater lag, Tsignaskij Teatr Romen, das Zigeunertheater. Dorthin war Irma schon mit ihm gegangen. Es war das Beste und Intensivste, was er bisher auf der Bühne gesehen hatte. Der Star des Stücks, Nikolaj Slitjenko, würde vermutlich auch im Westen unglaublichen Erfolg haben, wenn man die Truppe auf Tournee gehen ließe wie die traditionell anerkannten Theater. Aber so weit war Perestroika offenbar noch nicht gediehen.
    Doch zum einen hatten sie die Vorstellung vor kurzem gesehen, zum andern hatte es nur eine Pause. Am besten wäre ein Stück oder ein Ballett mit zwei Pausen.
    Das Bolschoi-Theater lag am günstigsten. Ein Dreiakter im Bolschoi mit zwei Pausen war vermutlich am besten.
    Als er jedoch auf halbem Weg in die Innenstadt vom Flughafen Scheremetjewo II auf den Leningradskij Prospekt fuhr, verlor er die Konzentration. Die privaten Gefühle gewannen die Oberhand.
    Er konnte nicht genau sagen, wie sie über die zwei Tage gedacht hatte, und im übrigen war es natürlich ein Fehler, ganz offiziell eine Polizistin einzuladen, auch wenn sie eine Frau war. Das würde das GRU nur durcheinanderbringen.
    Aber er hatte sie gebraucht. Er hatte diese knapp zwei Tage normalen Lebens ohne Schauspielerei gebraucht, gleichsam um zu prüfen, ob es

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