Feind in Sicht
hätte.
In der kleinen Kammer war es drückend heiß. Das Oberlicht war fest geschlossen und nur eine kleine Stückpforte einen Spalt offen, durch den etwas Seeluft hereindrang. Der Kommodore hatte offenbar ein opulentes Frühstück genossen, denn neben seiner Koje standen mehrere leere Teller. Es roch übel nach Brandy und Schweiß.
Pelham-Martin sah ganz wie früher aus. Sein rundes Gesicht glänzte rosarot in der Wärme, und sein mächtiger Körper war bis zum Kinn mit einem Laken bedeckt. Die Gruppe wirkte eher wie Trauernde um einen Leichnam als wie Kommandanten, die auf ein Wort ihres Vorgesetzten warteten.
Bolitho sagte: »Wir sind alle zur Stelle, Sir.« Er warf einen Blick auf die anderen, registrierte den unterschiedlichen Ausdruck ihrer Gesichter und empfand das völlige Fehlen eigenen Engagements. Er fühlte sich wie ein unbeteiligter Zuschauer.
Fitzmaurice blickte grimmig vor sich hin, während Farquhar über den Anblick des Kommodore eher zornig als besorgt schien. Lambe, der junge Kommandant der Korvette
Dasher,
der neben Herrick stand, war vielleicht am meisten bewegt. Es schien ihm unmöglich, den Blick von Pelham-Martins Gesicht zu reißen, und er schaute auf die Koje wie jemand, der Augenzeuge von etwas völlig Unverständlichem wird.
Pelham-Martin leckte sich die Unterlippe und sagte dann mit belegter Stimme: »Sie alle haben Kapitän Herricks Neuigkeiten gehört und werden zweifellos die Unmöglichkeit unserer jetzigen Lage erkannt haben.« Er seufzte tief. »Es war gut, daß ich die
Nisus
weggeschickt habe. Andere werden nun entscheiden, was zu geschehen hat, wenn Lequiller nach Frankreich zurückkehrt oder wohin ihn seine Befehle sonst führen.«
Fitzmaurice sagte: »Und welche Absichten haben Sie mit uns, Sir?«
»Was kann ich tun ohne mehr Schiffe?« Seine Lippen verzogen sich, so daß er für einen Augenblick aussah wie ein schmollendes Kind. »Man hat mir eine unmögliche Aufgabe gestellt. Ich habe nicht die Absicht, die Chancen meiner Feinde dadurch zu fördern, daß ich zu einer unsinnigen Verfolgungsjagd aufbreche.«
Herrick sprach langsam und bedacht: »Ich glaube, daß Kapitän Bolitho recht hat, Sir. Dieser Perez von Las Mercedes ist ein Trumpf-As in der Hand der Franzosen, das sie für einen Aufstand benutzen können, um damit einen weiteren Keil zwischen uns und Spanien zu treiben.«
Der Kommodore wandte ihm das Gesicht zu. »Wollen Sie damit sagen, ich solle dieses Geschwader auf irgendein dummes, unbegründetes Gerücht hin fünftausend Meilen über den Ozean segeln lassen?« Sein Gesicht zuckte, und er ließ den Kopf auf das durchschwitzte Kissen sinken. »Wenn Sie das glauben, Herrick, sind Sie noch beschränkter, als ich Ihnen zugetraut hätte.«
Fitzmaurice schaute zu Bolitho hinüber, als erwarte er von ihm Führung und Beispiel. Dann sagte er nur kurz: »Ich meine, Sie sollten mehr Rücksicht auf Ihre Wunde nehmen, Sir. Es ist gefährlich, sie unbehandelt zu lassen.«
Pelham-Martin sah in finster an. »Diese Fürsorge macht Ihnen Ehre. Es ist traurig, daß die anderen nur so spärliches Mitgefühl gezeigt haben.«
Bolitho ballte die Fäuste und starrte auf das Wandschott jenseits der Koje. Die Hitze in der Kammer, der Brandy und die überwältigende Aussicht auf eine Niederlage machten ihn fast unempfänglich für die Spannung ringsum. Während er seinen Blick auf das Schott gerichtet hielt, schoß eine Erinnerung durch seinen Kopf, die ihn fast wieder in Verzweiflung warf. In dieser Kammer hatte Cheney während ihrer Fahrt von Gibraltar nach Cozar geschlafen. In dieser Kammer und in dieser Koje, während er in einiger Entfernung von ihr geblieben war, sich aber mit jeder Stunde ihr näher gefühlt hatte.
Die anderen sahen ihn an, als er mit einiger Schärfe sagte: »Es gibt keine andere Möglichkeit: Sie müssen die Jagd aufnehmen.« Sein Blick blieb weiter auf einen Punkt über der Koje gerichtet.
»Kapitän Fitzmaurice hat Gefangene von der Prise an Bord, darunter den Kommandanten. Wir sollten aus ihnen einiges herausholen können.«
Pelham-Martins aufsteigender Ärger über Bolithos Unterbrechung machte gleich darauf unverhohlenem Triumph Platz.«
»Wußten Sie’s noch nicht? Farquhar hat keinerlei Dokumente oder versiegelte Befehle an Bord gefunden.«
Farquhar wandte sich zu Bolitho um, als der ihn fragend ansah.
»Das stimmt. Sie haben jedes Beweisstück über Bord geworfen, als die Niederlage unvermeidlich wurde. Der Erste Offizier ist gefallen, und
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