Feind in Sicht
nur der Kommandant weiß etwas, das uns nützen könnte, aber er bricht seinen Eid nicht.« Er zog bedauernd die Schultern hoch. »Es tut mir leid, aber ich konnte nichts weiter tun.« Pelham-Martin rührte sich unter seinem Laken. »Ich möchte einen neuen Verband. Schicken Sie sofort nach meinem Diener!« Er hob den Kopf. »Das ist alles, meine Herren. Ich habe dem im Augenblick nichts hinzuzufügen.«
Sie gingen hintereinander hinaus und trafen sich in der Kajüte.
Schweigend blieben sie vor den offenen Fenstern stehen.
Farquhar sagte schließlich bitter: »Das scheint den Fall zu beenden.«
Aber keiner von ihnen rührte sich vom Fenster weg. Bolitho konnte ihre Unsicherheit, ihr Zaudern, als erster das entscheidende Wort zu sagen, fast spüren.
Er begann ruhig: »Den Befehlen des Kommodore entgegen zu handeln ist Insubordination.« Er sah sie alle der Reihe nach an.
»Eine Änderung seiner Taktik ist nur zu erzwingen, wenn man ihn seines Kommandos entbindet!« Seine Stimme blieb ruhig, aber jeder der Offiziere fühlte sich angesprochen. »Ich will Sie nicht weiter mit hineinziehen, indem ich Sie frage, wie Sie unsere Erfolgschancen einschätzen. Der Kommodore ist verwundet, wie schwer, können wir nicht ohne genaue Untersuchung wissen, und die läßt er nicht zu. Um ihn zu suspendieren, muß ich als der dienstälteste Kommandant ihm entgegentreten und seinen Stander herunterholen.« Er ging zum Tisch und berührte die Tülle der Karaffe mit den Fingern. »Danach bin ich kompromitiert, und – ob zu recht oder unrecht – alle, die meinem Beispiel folgen, auch.«
Herrick sagte mit fester Stimme: »Ich stehe hinter Ihnen, hier meine Hand darauf.«
Bolitho lächelte. »Denken Sie erst nach, bevor Sie den Sprung wagen. Wenn der Kommodore gesund wird und unser Vorgehen anzeigt, kann es nur ein einziges Urteil geben. Selbst wenn er es nicht tut, würde man es als Treulosigkeit, die an Meuterei grenzt, ansehen. Und das besonders, weil große Aussicht auf einen eklatanten Fehlschlag besteht.«
Fitzmaurice sah ihn finster an. »Es ist ein beunruhigender Vorschlag. Ich würde lieber hundert Breitseiten entgegensehen als Ihrer Entscheidung.«
Bolitho entfernte sich vom Tisch und hielt am Kajütschott inne, über dem sein Säbel hing.
»Überlegen Sie gründlich, welche Alternativen Sie haben. Falls Sie hier vor Anker warten, bis der Kommodore so weit wiederhergestellt ist, daß er seine Pläne ändern könnte, wird man Sie später kritisieren; aber niemand kann Ihnen einen ernsten Vorwurf daraus machen, daß Sie nur seinen Befehl befolgt haben. Während…« Das Wort hing in der Luft. »Wenn Sie mir folgen, könnten Sie in wenigen Wochen Schlimmeres erleiden.«
Farquhar sagte ruhig: »Sie haben sich also schon entschieden?« Er durchquerte den Raum und schaute zu dem alten Säbel empor.
»Der weckt die eine oder andere Erinnerung.« Dann sagte er: »Für mich gibt es keinen Zweifel.« Er sah die anderen an. »Ich bin dafür, daß wir die Jagd fortsetzen.«
Bolitho wandte sich ihm zu und betrachtete ihn ernst. Farquhar hatte unter allen Anwesenden vielleicht das meiste zu verlieren. Es war eigenartig, wenn er überlegte, vor wie kurzer Zeit Farquhar noch sein Midshipman gewesen war und Herrick sein Erster Offizier. Jetzt war er Fregattenkapitän und jung und ehrgeizig genug, um einmal zu höheren Ehren aufzusteigen. Herricks Reaktion auf seinen Vorschlag war spontan und voraussehbar gewesen. Für ihn zählte nur die unbedingte Treue. Keinen Augenblick hatte er die möglichen Folgen ihrer leichtfertigen Verschwörung bedacht. Fitzmaurice würde sich den übrigen anschließen, während der junge Lambe noch nicht ernsthaft mitzählte, was auch kommen mochte.
Er verschränkte die Hände hinter dem Rücken und versuchte, die immer wiederkehrenden Konzentrationsschwächen zu überwinden.
War er nur durch ihre Reaktionen angetrieben worden, oder hatte er alles von Anfang an so geplant gehabt?
Er hörte sich fragen: »Ist der französische Kommandant unter Bewachung an Land?«
Farquhar schüttelte den Kopf, den Blick immer noch auf Bolithos Gesicht gerichtet. »Nein, ihn und die restlichen Offiziere habe ich an Bord der
Spartan
behalten. Er heißt Poulain und ist, wie ich glaube, ein sehr harter Mann.«
Bolitho nahm den Säbel herunter und drehte ihn in den Händen. Wie viele Fahrten, wie viele Kämpfe mit den Feinden seines Vaterlandes hatte er miterlebt? Auf fast allen Familienporträts in dem alten Haus in
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