Feind in Sicht
schlage vor, daß Sie heute mo rgen ein Geschütz den Midshipmen überlassen. Es wird sie vor Dummheiten bewahren und, was wichtiger ist, unseren Leuten einen Ansporn geben. Es wird ihnen guttun, wenn sie wissen, daß sie eine Bedienung aus Offizieren in Schnelligkeit und Genauigkeit schlagen können.«
Inch nickte. »Ich werde es sofort veranlassen, Sir.« Er errötete verlegen. »Ich – ich meine, auf der Stelle, Sir.«
Bolitho nahm sein Auf-und-ab-Gehen wieder auf. Die Wangenmuskeln schmerzten ihn, weil er zu verhindern versuchte, daß sich sein Grinsen über sein ganzes Gesicht ausbreitete. Es sah ganz so aus, als ob Inch versuche, in allem seinem Kommandanten nachzueifern, sogar in seiner Sprechweise.
Genau bei zwei Glasen verließ Bolitho das Achterdeck und machte sich auf den Weg zur Achterkajüte. Er traf Pelham-Martin am Tisch sitzend an, eine seidene Serviette unter dem Kinn und als Abschluß seines späten Frühstücks eine letzte Tasse Kaffee trinkend.
Er sagte: »Ich habe für die Mannschaft Geschützexerzieren befohlen, Sir.«
Pelham-Martin betupfte seinen kleinen Mund mit dem Zipfel seiner Serviette und runzelte die Stirn, als das Deck vom Rumpeln der Geschützlafetten und dem Stampfen von Füßen erbebte.
»So hat es den Anschein.« Er brachte seine schwere Gestalt in eine andere Stellung in seinem Sessel. »Gibt es sonst etwas zu melden?«
Bolitho betrachtete ihn unbewegt. Es war immer das gleiche.
»Wir steuern Westsüdwest, Sir, und der Wind ist stetig wie bisher.
Ich habe die Bramsegel setzen lassen, und mit etwas Glück sollten wir St. Kruis in drei Wochen erreichen.«
Pelham-Martin schnitt eine Grimasse. »Das klingt sehr zuversichtlich. Aber selbstverständlich kennen Sie diese Gewässer.« Er blickte auf den Stoß Papiere und Seekarten auf dem Schreibtisch.
»Ich hoffe zu Gott, daß uns in St. Kruis neue Nachrichten erwarten.« Er runzelte die Stirn. »Natürlich kann man bei den Holländern nie genau wissen.«
Bolitho sah zur Seite. »Es ist für keinen leicht, wenn sein Vaterland erobert wird, Sir.«
Der Kommodore grunzte. »Das interessiert mich nicht. Der entscheidende Punkt ist, werden sie uns helfen?«
»Ich glaube schon, Sir. Die Holländer sind immer gute Freunde gewesen. Genauso, wie sie ehrenhafte und mutige Gegner waren.«
»Mag sein.« Pelham-Martin erhob sich auf seine kurzen Beine und bewegte sich langsam über das krängende Deck. Am Schreibtisch blätterte er unschlüssig in den Papieren und sagte dann bitter: »Meine Befehle geben mir keinen wirklichen Hinweis darauf, was ich zu erwarten habe. Keinerlei Richtlinien…« Er brach ab und drehte sich heftig um, als ob er auf Kritik gefaßt wäre. »Nun? Was meinen Sie?«
Langsam entgegnete Bolitho: »Ich finde, wir sollten uns etwas zutrauen. Versuchen, Lequiller und seinen Schiffen immer einen Schritt voraus zu sein und vorherzusehen, was er beabsichtigt. Er wird andere zwingen, ihm zu helfen und ihn mit Nachschub zu versorgen. Aber ihm muß auch ständig bewußt sein, daß sein Geschwader verletzlich ist. Darum muß er bemüht sein, es ohne Verzögerung und mit der größtmöglichen Wirkung einzusetzen.« Er trat an die Seekarte heran. »Ihm muß bewußt sein, daß er gejagt wird, und das gibt ihm einen Vorteil.«
Pelham-Martin stützte sich schwer auf den Schreibtisch. »Das weiß ich selbst, verdammt noch mal.«
»Es ist notwendig, daß wir ihn stellen und daran hindern, seine Absichten zu verwirklichen, ehe er handeln kann.«
»Du lieber Himmel, Mann, wissen Sie, was Sie damit sagen?« Sein Ton war schockiert. »Sie schlagen vor, daß ich an irgendeinen Punkt auf der Karte segeln und mich da festsetzen und auf ihn warten soll.«
Ruhig erwiderte Bolitho: »Eine Jagd bleibt eine Jagd, Sir. Selten kann eine Formation Schiffe eine andere überholen, ohne ungewöhnlich viel Glück zu haben. Um einen Haifisch zu fangen, braucht man einen geeigneten Köder; einen, der so verlockend ist, daß auch der abgefeimteste Hai nicht widerstehen kann.«
Pelham-Martin strich sich über das Kinn. »Schatzschiffe. Denken Sie
daran,
Bolitho?« Mit unsicheren Schritten durchquerte er die Kajüte. »Wenn Lequiller beabsichtigt, anderswo anzugreifen, und wir am entgegengesetzten Ende der Karibik auf de r Lauer liegen…« Er schauderte unwillkürlich. »Ich würde dafür verantwortlich gemacht.«
Vielleicht begann der Kommodore erst jetzt, die volle Bedeutung seiner Aufgabe zu erkennen, dachte Bolitho. St. Kruis ohne jede
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