Feind in Sicht
Musketenschuß. Verlegen murmelte er: »Verzeihung, Sir.«
Bolitho lächelte. »Langsam! Vielleicht brauchen wir später Ihren ganzen Wind noch für die Segel.«
Ein paar Marinesoldaten lachten unterdrückt, und Bolitho war froh, daß sie sein Gesicht nicht sehen konnten.
Inch fragte: »Was mögen die Froschfresser vorhaben?«
»Im Augenblick verhalten sie sich sehr still.« Bolitho beobachtete die kleinen Wellen mit ihren Schaumköpfen, die in Luv langsam am Schiff vorbeiliefen. Jetzt konnte er sie schon auf viel größere Distanz erkennen, und als er den Blick nach vorn richtete, sah er, daß das Land viel klarere Umrisse angenommen hatte und jetzt unmittelbar vor dem Bug aufzuragen schien. Das war eine normale Erscheinung im ersten Tageslicht, aber trotzdem mußten sie jetzt bald mehr sichten. Der Kurs der
Hyperion
verlief so dicht an den Riffen vorbei, wie sie nur wagten, um die günstigste Position zu gewinnen, wenn der Zeitpunkt zur Wende kam, um entweder an der Bucht vorbei oder in sie einzulaufen.
Sehr viel hing von den Verteidigungsanlagen der Insel ab. Kein Schiff war einer gutpostierten Küstenbatterie gewachsen, aber man konnte ihrer Schlagkraft nie sicher sein. Bolitho erinnerte sich daran, wie er und Tomlin die Klippen bezwangen, als sie auf Cozar im Mittelmeer erfolgreich die französische Batterie überwunden hatten. Wenn man fest genug entschlossen war, konnte man alles schaffen.
Inch rief: »Guten Morgen, Sir!«
Der Kommodore kam auf steifen Beinen an die Reling und schnüffelte in der Luft. Bolitho studierte ihn in dem ungewohnten Halblicht. Er trug einen Bootsmantel, der ihm fast bis zu den Knöcheln reichte, und war ohne Hut und ohne jedes Rangabzeichen.
Er würde stark ins Schwi tzen geraten, sobald er in die Sonne kam, dachte Bolitho und empfand einen Anflug von Mitgefühl, als er an den Grund für diesen seltsamen Aufzug dachte. Pelham Martin war ein sehr breiter Mann, ein verlockendes Ziel für einen französischen Scharfschützen, auch ohne daß er sich in seiner richtigen Uniform zeigte.
Ruhig sagte er: »Bald ist es soweit, Sir. Der Wind kommt stetig von Nordost, und bis wir ganz dicht unter die Küste gelangen, haben wir genug Zug in den Segeln.«
Pelham-Martin zog seinen kleinen Kopf tief in den Kragen ein.
»Vielleicht. Ich weiß es nicht. Dessen bin ich sicher.« Er trat etwas zur Seite und versank wieder in Schweigen.
Bolitho wollte Inch gerade ansprechen, als er sah, daß die Augen des Leutnants wie Zwillingsfeuer aufloderten. Noch als er sich hastig umdrehte, hörte er eine gewaltige Explosion über das offene Wasser hallen und sah eine hohe Flammensäule zum Himmel aufsteigen, Funken nach allen Seiten sprühen und viele hundert Fuß hoch fliegen.
Inch keuchte: »Ein Schiff, das brennt!«
Bolitho kniff die Augen zusammen und versuchte zum hundertsten Mal, sich ein Bild von der Bucht zu machen. Das Schiff, das jetzt wie eine Fackel über seinem flammenden Spiegelbild loderte, war nur klein und befand sich irgendwo Steuerbord voraus.
Vereinzelte Schüsse waren zu hören, und Bolitho vermutete, daß der Feind Boote einsetzte, um noch im Schutz der Dämmerung das Ufer zu erreichen. Vielleicht war das Schiff durch einen Unglücksfall in Brand geraten, oder vielleicht hatten die Angreifer nur so viel Schaden wie möglich anrichten wollen, ehe sie sich wieder zurückzogen.
Wieder dröhnte eine dumpfe Explosion über das Wasser, doch diesmal gab es keinen Feuerschein; auch war weder die Richtung, aus der sie kam, noch ihre Entfernung zu schätzen.
»Ah, da ist sie!« Gossett hob einen Arm, als die Sonne über den Horizont stieg, die Schatten vertrieb und das endlose Muster der Wellenkämme mit blassem Gold überzog.
»An Deck! Zwei Schiffe in Lee voraus.« Dann ein überraschter Aufschrei: »Halt! Da ist noch eins, dicht am Ufer, Sir.«
Doch Bolitho konnte sie schon selbst sehen. In der Karibik war der Übergang von der Nacht zum Tag nur kurz. Die Sonne hatte den dunklen Schattenumriß der Insel bereits in ein Panorama aus Violett und Grün verwandelt; goldene Ränder hoben die Anhöhen auf der anderen Seite der Bucht hervor.
Die beiden ersten waren Linienschiffe, die langsam in entgegengesetzter Richtung segelten, fast im rechten Winkel zum Kurs der
Hyperion
und kaum zwei Meilen entfernt. Das dritte sah wie eine Fregatte aus; ein kurzer Blick auf ihre Segel verriet Bolitho, daß sie dicht unter der westlichen Landzunge vor Anker lag.
Vor Anker? Er schob alle Zweifel
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