Feind in Sicht
und Befürchtungen beiseite, als er die Wahrheit erkannte: Der Feind mußte das verankerte Schiff als Ablenkungsmanöver in Brand gesetzt haben.
Auf der gegenüberliegenden Seite des Ankergrunds, wo angeblich die Hauptbatterie ihre Stellung haben sollte, hatten die Eindringlinge zu einem Großangriff angesetzt und die Verteidiger im entscheidenden Augenblick abgelenkt und überrascht. In der frühen Morgendämmerung konnte das nicht schwer gewesen sein, dachte Bolitho grimmig. Es war nur menschlich, sich am Unglück anderer zu weiden, selbst wenn es die eigenen Kameraden waren, solange man selbst verschont blieb.
Während die aufgeschreckten Kanoniere in ihren Geschützstellungen das brennende Schiff beobachtet hatten, waren die Angreifer mit ihren Booten heimlich gelandet und hatten die Landzunge von der anderen Seite her überwunden.
Pelham-Martin sagte mit gepreßter Stimme: »Sie haben uns gesichtet.«
Das führende französische Schiff gab bereits ein Signal an seinen Begleiter, doch als das erste Sonnenlicht auf das geschützte Wasser der Bucht und die weißgetünchten Häuser am Ufer fiel, verriet keines der beiden Schiffe Anzeichen dafür, daß es Richtung oder Absicht ändern wolle. Der erste Schock beim Anblick der
Hyperion
mußte schnell überwunden worden sein, als der Feind erkannte, daß sie nur von einer einzelnen Fregatte begleitet wurde.
Bolitho spürte die Sonne warm auf dem Gesicht. Er konnte vor dem Bug der Feinde in die Bucht einlaufen, doch wenn die Franzosen die Batterie besetzt hatten, konnten ihre Schiffe unbesorgt hinter ihm hersegeln. Wenn er sich aber zurückhielt, würden sie sich in die Bucht zurückziehen und konnten dann selbst eine größere Streitmacht daran hindern, ihnen zu folgen.
Er sah zu dem Kommodore hinüber, der, das Gesicht voller Unentschlossenheit, unverwandt zu den französischen Schiffen hinüberstarrte.
Inch murmelte: »Zwei Vierundsiebziger, Sir.« Auch er blickte Pelham-Martin an, ehe er hinzufügte: »Wenn sie die andere Seite der Bucht erreichen, sind sie uns gegenüber im Vorteil, Sir.«
Bolitho bemerkte, daß mehrere Matrosen an den Brassen die Hälse reckten, um zu den Franzosen hinüberzustarren. Die Schiffe sahen völlig intakt aus, zeigten keine Beschädigungen durch die Geschütze der Küstenbatterie und wirkten wegen ihrer langsamen Annäherung nur noch gefährlicher. Im Sonnenlicht schimmerten Teleskope, die vom Achterdeck des führenden Schiffs auf die
Hyperion
gerichtet waren. Hier und da bewegte sich eine Gestalt, und im Großtopp flatterte ein Wimpel, als bewege er sich aus eigener Kraft.
Aber sonst glitten die Schiffe langsam und behäbig über das leicht bewegte Wasser, bis es schien, als ramme der Klüverbaum die
Hyperion
den des führenden Franzosen wie die Stoßzähne zweier Mammuts, die gegeneinander kämpften.
Auf dem Hauptdeck war die Spannung inzwischen fast physisch greifbar. Hinter jeder offenen Stückpforte kauerten die Kanoniere, die nackten Rücken glänzend vor Schweiß, während sie darauf warteten, zum erstenmal an der Abzugsleine zu reißen. Jeder Niedergang wurde von einem Marinesoldaten bewacht, und die Scharfschützen und Bedienungen der Drehbassen in den Masten leckten sich die Lippen und spähten mit zusammengekniffenen Augen nach ihren Gegnern aus.
Pelham-Martin räusperte sich. »Was beabsichtigen Sie zu tun?« Bolitho entspannte sich etwas. Er fühlte, wie ihm der Schweiß über die Brust rann, und spürte seinen Herzschlag an den Rippen. Die Frage wirkte wie ein Dammbruch, befreite ihn von einer schweren Last. Einen Augenblick lang hatte er befürchtet, daß Pelham-Martins Nerven versagen und er den sofortigen Rückzug befehlen würde. Oder schlimmer noch: daß er in voller Fahrt in den Hafen einlaufen wolle, wo der Feind ihr Schiff in aller Ruhe zum Wrack schießen konnte.
»Wir werden vorm Bug des Feindes vorbeilaufen, Sir.« Er hielt den Blick auf das führende Schiff gerichtet. Wenn jetzt Anzeichen erkennbar wurden, daß der Feind mehr Segel setzte, dann mußte es für die
Hyperion
zu spät sein. Es bedeutete entweder eine Kollision, oder er mußte halsen und sein ungeschütztes Heck der Breitseite der Franzosen aussetzen.
Pelham-Martin nickte. »Und dann in die Bucht?«
»Nein, Sir.« Er drehte sich heftig um. »Einen Strich nach Steue rbord, Mr. Gossett!« Ruhiger fuhr er fort: »Wir werden halsen, sobald wir an dem führenden Schiff vorbei sind, und gegen seine Backbordseite Feuer eröffnen.« Er
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