Feind
die besser gekleideten Damen und Herren sehen. Die meisten
von ihnen hatten feinen Kristall in den Händen, aus dem sie ab und zu einen
Schluck teuren Weins nahmen. Sie lachten ebenfalls viel, wenn auch manchmal
hinter flatternden Fächern. Von einer Brüstung hing das königliche Wappen. Für
die Familie, der das Haus gehörte, musste der heutige Besuch eine große Ehre
sein. Gut möglich, dass ihre Schatzkammer leerer geworden war, um dies zu
ermöglichen. Nun konnte man sich an der Seite der Königin bestaunen lassen,
deren Krone im roten Mondlicht funkelte, als seien ihre Spitzen Stilette, die
man gerade erst aus der Brust eines Feindes gezogen hatte. Die Hofdamen
umschwirrten die Monarchin, soweit ihre voluminösen Kleider es in der Enge des
Balkons zuließen. Ein fetter Mann mit glänzenden Locken und gesteiftem Schnurrbart
sah zu Helion herüber, um dann mit der Faust vor seine Brust zu klopfen. Helion
hätte eine höhnische Verballhornung der ritterlichen Geste darin vermutet, wäre
das Gesicht des Kerls dabei nicht so ernst gewesen. Er wirkte so ergriffen wie
ein Gast in einem anrührenden Theaterstück. Das brachte Helion auf den
Gedanken, dass er selbst gerade einem Schauspieler auf seiner Bühne ähnlich
sähe, wie er da auf dem Absatz vor dem Tempeleingang stand, das klatschende und
rufende Publikum vor sich. Er beeilte sich, zu den Stufen zu gelangen.
Sofort warfen sich ihm einige junge Frauen entgegen. »Das ist
meiner!«, rief eine von ihnen und riss ihre Konkurrentin zur Seite. »Er ist
zwar etwas alt, aber das Glück der ersten Ritternacht wird seine Lanze genauso
verteilen wie die jedes anderen Paladins!«
Abwehrend schob er sie beiseite.
»Was denn?«, rief sie entrüstet. »Denkt Ihr, Ihr findet schönere
Brüste?« Um das Gegenteil zu beweisen, löste sie die ohnehin lockere
Verschnürung ihres Mieders und entblößte zwei vollendet geformte Halbkugeln.
Helion wandte sich ab, ohne auf ihr Gezeter zu achten. Auch den ihm
dargebotenen Humpen wischte er fort.
Für eine kurze Zeit hatte er sich die Hoffnung gestattet, der Orden
sei nicht so morsch, wie er in den vergangenen Jahren befürchtet hatte. Als
sich die Rüstung heiligend um ihn gelegt, als er die Schärfe seines
Mondsilberschwerts zum ersten Mal gesehen hatte, war er willens gewesen, an
einen unverdorbenen Kern zu glauben. Es schmerzte, als die Leere in seine Brust
zurückkehrte. Es hatte sich gut angefühlt, Vertrauen zu spüren in die Kraft der
Mondmutter, die alles zum Guten wendete, zum Ideal der Ritterschaft, das noch
irgendwo in den Mondschwertern brannte, sich nicht von all der Dekadenz
ersticken ließ. Aber was er hier vor dem Tempel erlebte, konnte nur seine alte
Meinung wiederherstellen. Die heilige Zeremonie war zu einem Popanz verkommen,
der Pöbel und degeneriertem Adel gleichermaßen zur Belustigung diente. Er
wünschte nichts mehr, als diesem Trubel zu entkommen, nicht länger ein Teil
davon zu sein.
Vor einem Haus, das ohne Festbeleuchtung dunkel in der Nacht lag,
hatte sich eine johlende Menge versammelt. Im Schein von zwei gusseisernen
Kohlebecken, die vor dem Eingang standen, machten die Betrunkenen auffordernde
Gesten.
Bei seinen früheren Besuchen in Akene hatte er den Tempelplatz stets
im Tageslicht gesehen, deswegen brauchte er einen Moment, um in dem lang
gestreckten Gebäude den Rittersaal der Mondschwerter zu erkennen. Trotz der
lauten Menschenmenge davor schien ihm der dunkle Bau selbst ein Ort der Ruhe zu
sein. Drei Ordensbrüder standen Wache, voll gerüstet und unbewegt. Ihre stille
Präsenz allein schien auszureichen, die ausgelassene Menge auf Abstand zu
halten.
Einige waren zu betrunken, um ihn zu beachten und ihm Platz zu
machen. Helion drückte sich mit Schild und gepanzerter Hand den Weg frei. Unter
der Augenklappe des vordersten Ritters kam eine Narbe hervor und zog sich durch
die bärtige Wange bis zum Unterkiefer. Die zusammengezogenen Brauen gaben
seinem Gesicht einen Ausdruck, der zwischen Wut und Resignation lag. Es hellte
sich ein wenig auf, als Helion vor ihn trat. »Wer seid Ihr?« Seine Stimme
kratzte merkwürdig, womöglich hatte er eine schlecht verheilte Verwundung am
Hals. Helion konnte nicht heraushören, ob die Frage freundlich oder
herablassend gemeint war.
»Silberträger Helion von den Mondschwertern«, antwortete er, und es
klang richtig.
»Was sucht Ihr hier zu dieser Stunde, Paladin?«
Er drehte sich um und ließ den Blick über die zügellose Menge
schweifen. »Etwas
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