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Feind

Feind

Titel: Feind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Corvus
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Reise war nicht unnütz, ihr Leben nicht
wertlos gewesen! Sie hatte Lisanne Schönheit gebracht! Nichts konnte jetzt noch
ihre Tränen aufhalten.
    Erst spät bemerkte sie, dass sich Lisannes Aufmerksamkeit einem
Neuankömmling zuwandte.
    »Dunkelrufer Jatzell, was bringst du mir?«
    Der Mann war nur wenig älter als Lióla. Er hätte ein Krieger sein
können, so deutlich waren die Muskeln unter der schwarzen Kleidung des Kults zu
sehen. Statt einer Antwort kniete er nieder, auf die gleiche Weise, auf die
auch Lióla ihre Unterwerfung bekundet hatte. Hinter ihm strömten Kinder in den
Saal. Eine endlose Doppelreihe eingeschüchterter Mädchen und Jungen, begleitet
von einer Handvoll Bewaffneter. Sie waren verdreckt und ihre Kleidung
zerrissen, aber sie selbst hatten keine Mängel. Sie humpelten nicht einmal.
Jatzell musste sorgsam mit ihnen umgegangen sein. Ehrfürchtig blickten sie zu
der Osadra auf. Die Krieger knieten nieder.
    Lisanne schien die Truhen zu vergessen. Sie ging zu den Kindern.
Ihre Füße berührten kaum den Boden, es war, als schwebe das Kleid über dem
Parkett.
    So der Aufmerksamkeit der Schattenherzogin verlustig gegangen,
fühlte sich Lióla verlassen. Als habe sie einen alten Freund verloren, drängte
sich eine schmerzhafte Leere in ihre Brust.
    Lisannes Krallen hoben zärtlich das Gesicht eines Mädchens an, bis
das Kind ihr in die Augen sah. »Wie heißt du?«
    »Rina«, antwortete die dünne Stimme.
    Lisanne nickte lächelnd. »Hast du Angst, Rina?«
    »Nein.« Das Zittern, mit dem sie das sagte, strafte das Wort Lügen.
    »Das solltest du aber, mein Kind.« Sie sah über die versammelte Schar
und befahl beiläufig: »Erhebe dich, Jatzell.«
    Hasserfüllt sah Lióla zu, wie der Dunkelrufer aufstand. Die Leere,
die sie in sich spürte, war allein seine Schuld! Dafür würde er büßen!
    Lisanne schritt die Reihen der Kinder entlang. Eines drückte ein
Kätzchen an die Brust. »Ist das dein Freund?«, fragte Lisanne den Jungen.
    Er nickte stumm.
    »Darf ich deinen Freund kennenlernen?«
    Er versuchte, einen Schritt rückwärts zu machen, prallte aber gegen
die hinter ihm stehenden Kinder. So blieb es bei einem Kopfschütteln.
    Lisanne streckte ihm die Hand entgegen, faltete die Finger auf.
»Aber bitte …«, flüsterte sie.
    Einer solchen Aufforderung konnte sich kein Sterblicher entziehen.
Behutsam legte er das junge Tier in die Hand. Auf der perfekten, weißen Haut
sah es unglaublich hässlich aus. Das schien es auch selbst zu empfinden, denn
während es in den Armen des Jungen noch ruhig gedöst hatte, strampelte es jetzt
hektisch, fuhr sogar die Krallen aus, die die Haut der Osadra aber nicht ritzen
konnten.
    Lisanne hielt es auf Augenhöhe, betrachtete das gestreifte Fell
genau. »Was für ein widerlicher Pelzball.« Mit einer schnellen Bewegung riss
sie den Kopf des Kätzchens ab und warf ihn zusammen mit dem Körper zwischen die
Kinder. Erschrockenes Kreischen erhob sich, vor allem bei denen, die von dem
aus dem Hals sprudelnden Blut besudelt wurden. Nur der Junge, dem das Kätzchen
gehört hatte, stand erstarrt in seinem Schrecken.
    Lächelnd schloss Lisanne die Augen, breitete die Arme aus und legte
den Kopf in den Nacken. Ihr schwarzes Haar fiel bis hinab zu den Oberschenkeln.
    Das Kreischen der Kinder wurde noch schriller. Ihr Entsetzen, auf
Lisanne gerichtet, wurde zur Brücke, über die die Schattenherrin ihre Essenz
rief. Silbriger Schaum bildete sich in der Luft vor ihnen. Die Lebenskraft der
Einzelnen vereinigte sich, als sie zu der Osadra strömte, wobei sie zunehmend
verdunkelte, bis Lisanne sie nachtgrau einatmete. Vier Züge nahm sie.
    Dann riss sie die Augen auf, richtete das Gesicht wieder nach vorn.
Der Strom versiegte, die Essenz, die sich schon in der Luft befand, zerfaserte.
»Genug gekostet«, murmelte sie.
    Lisanne wandte sich ab und begab sich zu den beiden anderen Osadroi.
Ihre Ringe verrieten Lióla, dass sie Barone waren. »Das solltet Ihr Euch nicht
entgehen lassen. Es ist ein exquisiter Genuss.«
    Die Männer schlossen die Augen. Sie zogen keine weitere Lebenskraft
aus den Kindern, verhinderten aber, dass sich das, was Lisanne hervorgeholt
hatte, nutzlos verflüchtigte, riefen es zu sich und veratmeten es. Andächtig
sah Lióla zu, bis sie bemerkte, mit welchem Stolz Jatzell die Szene
betrachtete. Sie ballte die Fäuste so fest, dass die Knochen in ihrer Hand
knackten.
    Um ihn nicht länger ansehen zu müssen, betrachtete sie die Kinder.
Sie sahen verloren

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