Feind
Geräusche von Brecheisen,
Hämmern und schwer beladenen Fuhrwerken aus dem Tal im Süden. Tag und Nacht
wurde das Silbererz aus den Minen geschürft und in Sicherheit gebracht.
Heerführer waren viel beschäftigt, jedermann wollte sie sprechen.
Vor allem an der Front. Phaistor, der gegenwärtig seinen Hang zum Alkohol im
Griff hatte, war nun in dem Saal, in dem man sie zusammengerufen hatte. Er
hatte auch dafür gesorgt, dass Helions Silberrüstung in den kleinen Raum
gebracht worden war, in dem er wartete. Eine Turmkammer mit nur einem Ausgang,
vor dem zwei Hellebardiere standen. Ein Kerker ohne Ketten.
Dass Helion nach Ajina verlangt hatte, mochte Phaistor noch
verstehen. Die Kunde von einer neu erblühten Liebe machte schnell die Runde in
Zeiten, in denen gute Nachrichten rar waren. Die Bitte, auch Priesterin Arula
zu sehen, mochte er dagegen als Schuldeingeständnis deuten. Wollte Helion
seinen Frieden mit der Mondmutter machen? Sein Verlangen nach Deria schließlich
musste für jeden Außenstehenden unverständlich bleiben.
Sie standen eng beisammen, damit ihre Worte nicht belauscht werden
konnten. Beinahe einen Tag lang hatte Helion auf seinen Besuch warten müssen.
Abgesehen vom Anlegen seiner Silberrüstung hatte er wenig Beschäftigung gehabt.
Durch die fensterlose, aber mit einer Silberstrebe gegen unheilige
Eindringlinge geschützte Öffnung hatte er schon vor einiger Zeit die Sonne
hinter die Berge sinken sehen.
Als sich Ajina und Helion voneinander lösten, räumte Modranel
ungefragt ein: »Ich hätte meine Kammer abschließen sollen.«
»Nein, das wäre meine Aufgabe gewesen«, gestand Deria. »Ich habe
frisches Wasser geholt, und da habe ich es vergessen.«
»Was weiß man über Pepps Entdeckung?«, fragte Helion.
»Gar nichts«, sagte Ajina. »Jeder spricht von seinem Tod. Davon, wie
du ihn …« Sie verstummte.
»Wie ich meinen eigenen Schüler erstochen habe, als er mir wehrlos
ausgeliefert war.«
»Hast du wirklich noch auf die Leiche eingehackt, als er bereits tot
war?«
Entsetzt starrte Helion Ajina an. »Warum hätte ich das tun sollen?«
»Man erzählt sich noch Schlimmeres. Der Dämon, der in dich gefahren
sei, habe dich gezwungen, Pepps Augen zu fressen …«
»Das ist gut«, murmelte Modranel. »Wenn sie solche Gerüchte
brauchen, um die Geschichte interessant zu machen, können sie von der Wahrheit
nichts wissen.«
»Ich glaube nicht, dass sich Pepp auf dem Weg jemandem anvertraut
hat. Ich habe ihn zu schnell eingeholt. Was wollte er eigentlich in Eurer
Kammer?«
»Er hat mich gesucht«, erklärte Deria an Modranels Stelle. »Ich
glaube, er hatte mich ein wenig lieb gewonnen.« Sie musste schlucken, bevor sie
weiterreden konnte. »Ich mochte ihn auch. Nicht auf die Weise, wie es bei ihm
der Fall war. Er verstand das, schließlich ist Kester erst kurze Zeit … Und ich
bin fünf Jahre älter als er. Aber er war noch ein Junge, da kann man den
Aufwallungen nichts entgegensetzen. Jedenfalls hatte er ein wenig Angst vor dem
Spähtrupp. Nein, nicht ein wenig. Als er mir davon erzählte, war ihm so übel,
dass er sich übergab. Ich habe ihm versprochen, für ihn da zu sein, wenn er
lebend zurückkehrt. Ich dachte nicht, dass er direkt zu mir kommen wollte. Im
Schlafsaal hat er mich nicht gefunden, aber als ich das Wasser holte, bin ich
der Magd begegnet, die die Fackeln erneuerte. Sie wird ihm gesagt haben, wo er
mich finden konnte.«
»Wir müssen vorsichtiger sein«, meinte Modranel.
Helion starrte nach draußen. »Solcherlei kann immer passieren. Von
den Spähern des Feindes ganz zu schweigen. Auch wenn kein Mensch durch diese
Mauern zu lauschen vermag, wer weiß, was für ein Gezücht die Schatten
aussenden? Seit ich dem Seelenspiegel begegnet bin, ahne ich, über welche
Möglichkeiten die Finsternis gebietet.«
Von der Festungsanlage selbst hielten sich die geflügelten Frauen
fern, aber zu Beginn der Nacht hatte man sie darüber hinwegfliegen sehen, auf
der Suche nach neuen Opfern, deren Lebenskraft sie ihren Herren bringen
konnten.
Helion bemerkte, dass er Ajina so fest hielt, dass es sie schmerzen
musste, schon allein wegen des harten Metalls seiner Rüstung. Obwohl sie sich
nicht beklagte, lockerte er die Umarmung. »Wir müssen unseren Auftrag rasch
umsetzen. Bevor noch mehr Menschen für seine Geheimhaltung sterben.«
»Ich habe Pepp gemocht«, flüsterte Deria.
Ich auch, dachte Helion, sagte aber
nichts. Es hätte falsch geklungen. Manchmal sind Freund und
Feind
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