Feindberührung - Kriminalroman
gewesen. Da hatte sie nur den Kuss gespürt und darauf gewartet, dass Martina die Führung übernahm. Aber die hatte sich zurückgehalten, selbst abgewartet.
Also waren Thereses Hände über Martinas Rücken gewandert, hatten den Saum des Pullovers gegriffen und ihn entschlossen über Martinas Kopf gezogen. Der Pulli war über Thereses Schulter in die Küche geflogen, sie hatte sich selbst vorwärtstreiben wollen mit dieser Geste, doch Martina hatte ihre Hände auf Thereses Schultern gelegt und sie auf Abstand gehalten.
Sie hatten sich lange angesehen, über Martinas schön geschwungener Oberlippe hatten feine Tröpfchen geglänzt. Therese war unsicher geworden. Mein Gott, waren diese Augen blau und klar. Obwohl Therese ein paar Jährchen älter war als Martina, hatte sie sich ihr unterlegen gefühlt. Sie hatte Martinas nun nackte Hüften gefasst und sie in sehr kleinen, unentschlossenen Bewegungen gestreichelt. Martina hatte gelächelt.
Dann hatte sie ihre rechte Hand von Thereses Schulter gelöst und war ihr damit sanft übers Haar gestrichen, die Wange, hatte mit einem Finger Thereses Mund nachgezeichnet.
» Du willst das hier gar nicht, Süße.«
Therese war es ganz schwummrig geworden.
» Doch. Also, ich meine, ich wollte das nicht und werde es vielleicht nicht wieder wollen, aber ich will es jetzt.«
Martina hatte ein bisschen traurig gelächelt.
» Therese, du bist ein echt tolles Weib. Wenn ich dich heute aufgegabelt hätte, würde ich deine Stimmung jetzt bedenkenlos ausnutzen, und es wäre mir wurscht, wie hetero du dich morgen möglicherweise wieder fühlst.« Martinas Hände waren unter Thereses Bluse geschlüpft und hatten sie fest in die kleinen Hüftröllchen gekniffen. Therese hatte gekiekst.
» Aber wir sehen uns jeden Tag bei der Arbeit. Und es gibt nicht viele Frauen in unserem Job, schon gar nicht so taffe wie dich. Ich will noch oft mit dir ausgehen und deine Freundschaft genießen. Und dir nicht irgendwann peinlich sein, weil du dann verheiratet bist und ich das kleine schmutzige Geheimnis.«
Therese hatte widersprechen wollen, aber Martina hatte den Kopf geschüttelt.
» Ich mach dir das Sofa zurecht.«
Beim Ticken der Wanduhr in Martinas Wohnzimmer war Therese mit schwindelndem Kopf eingeschlafen und eine halbe Stunde später wieder aus wirren Träumen erwacht.
Mittlerweile tickte die Uhr schon seit einer Ewigkeit in Thereses Kopf. Ein Kater begann, sich auch noch dort breitzumachen, ihre Zunge hing wie ein zusammengedrehter Waschlappen in ihrem Mund.
Wie wäre es gewesen, neben einer Frau aufzuwachen, neben einer Kollegin? Nach der Liebe, nach dem Sex.
Kaffee oder Tee? Toast oder Müsli? Wie nimmst du deine Frühstückseier?
Vielleicht hatte Martina recht gehabt. Wahrscheinlich. Es wäre ein Rausch gewesen, ein schöner Moment, da war sich Therese sicher. Aber dann? Die Freundschaft mit einer tollen Kollegin war viel wert. Und diese Freundin zu verletzen oder zu enttäuschen, das hätte Therese nicht verkraftet. Nicht jetzt.
Sie zwang sich aufzustehen. Sie musste etwas trinken. Als sie im Flur an ihrem Mantel an der Garderobe vorbeiging, hörte sie ein Kurznachrichtensignal aus der Tasche.
» Sie haben eine Nachricht auf Ihrer Mobilbox .«
Therese öffnete das Menü und hörte ihre Mobilbox ab. Danach stürzte sie ins Bad und übergab sich in die Badewanne.
Es war fast sechs Uhr, Grewe ging vor dem Tor der JVA hin und her. Er trank bitteren Kaffee von einem Kiosk, dessen Kundschaft im Wesentlichen aus Beschäftigten und Besuchern des Gefängnisses bestand.
Kurz bevor er reingegangen war, hatte ihn ein atemloser Rückruf von Therese erreicht, dass sie sich ein Taxi bestellt hätte und sozusagen schon auf dem Weg war.
Erst jetzt wunderte sich Grewe, warum sie wohl ein Taxi holte. War ihr roter Flitzer kaputt?
Andererseits war Sonntag früh, man konnte auch sagen Samstagnacht. Vielleicht war sie aus gewesen, hatte getrunken?
Grewe hätte Therese unter normalen Umständen derzeit nicht wegen einer Leiche am Wochenende aus dem Bett geholt. Es gab Estanza und Fuchs, auch Claudi machte nach ihren ersten Wochen einen wirklich guten Eindruck. Aber Schönlein, das war nun mal für Therese nicht irgendeine Leiche – und für Grewe auch nicht. Also zwei gute Gründe, es ihr zumindest zur Wahl zu stellen. Und offensichtlich hatte er damit richtig gelegen.
Was für ein komischer Fall. Sie kamen nicht ein Stück vorwärts, obwohl sich Unmengen an möglichen Motiven und auch Tätern
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