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Feinde der Krone

Feinde der Krone

Titel: Feinde der Krone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Selbsterhaltungstrieb, weil sie fürchtete, künftig keine Vertrauensstellung zu bekommen, wenn sie zu viel preisgab? Sie konnte in dieser Hinsicht gar nicht vorsichtig genug sein, denn von Maude Lamont würde sie naturgemäß kein Führungszeugnis bekommen. Unter diesen Umständen war es für sie äußerst schwierig, wenn nicht gar aussichtslos, eine neue Stelle zu finden.
    »Gab es regelmäßige Besucher, die nicht zu ihren Sitzungen kamen?«, fragte Tellman. »Wir denken dabei an Menschen, die ihr Informationen über Personen lieferten, Dinge … die ihre Besucher hören wollten.«
    Lena hob den Blick, als wäre er ihr damit persönlich nahe getreten. »Dazu ist nicht viel nötig. Die Leute verraten sich selbst. Sie verstand es erstklassig, Gesichter zu deuten und zu erfassen, was die Menschen nicht mit Worten ausdrückten. Sie konnte unglaublich schnell etwas erraten. Ich weiß gar nicht, wie oft ich etwas gedacht habe, und sie wusste es, bevor ich den Mund aufgetan hatte.«
    »Wir haben im ganzen Haus nach Tagebüchern gesucht«, sagte Tellman zu Pitt, »aber nichts als Listen mit Terminen gefunden. Sie muss sich alles andere gemerkt haben.«
    »Wie schätzen Sie die Gabe von Maude Lamont ein, Miss Forrest?«, fragte Pitt mit einem Mal. »Glauben Sie an die Macht, die Geister der Toten heraufzubeschwören?« Er sah sie aufmerksam an. Sie hatte bestritten, dem Medium geholfen zu haben, aber irgendeine Hilfe musste die Frau gehabt haben, und außer ihr hatte es im Hause niemanden gegeben.
    Lena holte tief Luft und stieß sie mit einem Seufzer wieder aus. »Ich weiß nicht. Ich habe meine Mutter und meine Schwester verloren und stelle mir vor, dass es schön wäre, wenn ich wieder mit ihnen sprechen könnte.« Man konnte ihr die Tiefe ihrer Empfindung vom Gesicht ablesen, dessen Züge sie kaum zu beherrschen vermochte. Offenkundig machte ihr der
erlittene Verlust nach wie vor zu schaffen, und Pitt wollte die Wunde nicht erneut aufreißen, schon gar nicht vor den Augen Außenstehender, denn solchen Kummer musste ein Mensch allein tragen dürfen.
    »Waren Sie selbst Zeuge solcher Manifestationen?«, fragte er. Die Lösung des Mordfalls an Maude Lamont war zumindest teilweise in diesem Haus zu finden, und er musste sie entdecken, ganz gleich, ob es Voisey und die Wahl oder was auch immer beeinflusste oder nicht. Er konnte einen Mord nicht einfach auf sich beruhen lassen, was auch immer der Grund dafür und wer auch immer das Opfer war.
    »Eine Zeit lang habe ich das gedacht«, sagte sie zögernd. »Das ist aber lange her. Wenn man etwas so dringend wünscht, wie diese Leute …« – sie warf einen Seitenblick auf die Stühle, auf denen die Besucher bei den Séancen zu sitzen pflegten – »sieht man es wohl auf jeden Fall, oder nicht?«
    »Sicher«, stimmte er zu. »Aber Sie hatten keinerlei Interesse an den Geistern, mit denen diese Leute in Berührung zu kommen hofften? Überlegen Sie gut, was Sie gehört haben und wovon Sie wissen, dass Miss Lamont es heraufzubeschwören vermochte. Andere Besucher haben von Stimmen und Klängen gesprochen, aber die Levitation scheint nur hier stattgefunden zu haben.«
    Sie sah verwirrt drein.
    »Dass sie sich in die Luft erhoben hat«, erklärte Pitt. Er sah, wie plötzlich Verstehen in ihren Augen aufflammte. »Tellman, sehen Sie sich den Tisch doch noch einmal gründlich an«, sagte er. Dann wandte er sich erneut Lena Forrest zu. »Können Sie sich erinnern, dass je am Morgen nach einer Sitzung etwas verändert war – sich an einem anderen Platz befand, anders roch, irgendwo Staub oder Pulver lag, was auch immer?«
    Sie schwieg so lange, dass er nicht wusste, ob sie sich auf etwas konzentrierte oder einfach nicht antworten wollte.
    Tellman saß auf dem Stuhl, auf dem sonst das Medium gesessen hat. Lena ließ ihn nicht aus den Augen.
    »Haben Sie je den Tisch bewegt?«, fragte Pitt unvermittelt.
    »Bestimmt nicht, er ist auf dem Boden befestigt«, gab Tellman zur Antwort. »Ich habe das schon probiert.«
    Pitt erhob sich. »Und was ist mit dem Stuhl?« Mit diesen Worten ging er zu Tellman hinüber. Dieser stand auf und hob den Stuhl hoch. Überrascht sah er dort, wo die Stuhlbeine gestanden hatten, vier kaum wahrnehmbare Einbuchtungen auf den Bodendielen, die keinesfalls durch regelmäßigen Gebrauch des Stuhls entstanden sein konnten. Er ging zu einem der anderen Stühle, hob ihn auf – und fand keine Einkerbungen. Rasch sah er zu Lena Forrest hinüber und erkannte am

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