Feinde der Krone
möglicherweise wäre geliebt kein zu starkes Wort dafür. Zugleich äußerten alle, die Pitts Fragen beantworteten, ihre Besorgnis um ihn. Sie waren überzeugt, dass sein Verlust für ihn eine schwerere Last bedeutete, als er zu ertragen vermochte. Gute Bekannte hatten gezögert, ihn zu besuchen, da sie nicht gewusst hatten, ob sie ihn damit belästigen und zu tief in seine Privatsphäre eindringen würden oder ob er einen solchen Besuch wünschte, weil er ihn eine Weile vor der entsetzlichen Einsamkeit des Hauses bewahrte, wo er mit niemandem sprechen konnte als der jungen Mary Ann. Zwar kümmerte sie sich rührend um sein Wohlergehen, dürfte ihm aber als Gesellschaft kaum etwas bedeuten.
Es gelang Pitt, von einem dieser guten Bekannten, einem ebenfalls verwitweten Mann etwa in Wrays Alter, dies und jenes zu erfahren. Er fand ihn in seinem Garten, wo er herrliche übermannshohe rosa Malven hochband.
»Ich frage nur aus Besorgnis«, erläuterte Pitt, »und nicht etwa, weil sich jemand beklagt hätte.«
»Das wäre auch merkwürdig«, sagte Mr. Duncan, wickelte ein Stück Bindfaden von dem Knäuel ab und schnitt ihn schwerfällig mit einer Gartenschere durch. »Wenn Menschen alt und einsam werden, fallen sie bedauerlicherweise anderen zur Last, ohne es selbst zu merken.« Er lächelte ein wenig trübselig. »Ich fürchte, das war bei mir in den ersten ein, zwei Jahren nach dem Tod meiner Frau nicht anders. Manchmal finden wir es unerträglich, mit Menschen zu reden, dann wieder lassen wir sie nicht aus den Fängen. Es ist mir lieb zu hören, dass Sie lediglich feststellen wollen, ob eine Kränkung beabsichtigt war.« Er schnitt ein weiteres Stück Bindfaden ab und sah Pitt dabei entschuldigend an. »Mitunter missverstehen junge Damen die Gründe, warum jemand ihre Gesellschaft sucht, wozu sie zweifellos in manchen Fällen auch Anlass haben.«
Zögernd kam Pitt auf das Thema spiritistische Sitzungen zu sprechen.
»Ach je, ausgerechnet!« Auch Mr. Duncans Gesicht wirkte beunruhigt. »Ich muss sagen, dass er derlei Dingen ausgesprochen ablehnend gegenübersteht. Er war Zeuge einer Tragödie, zu der es in diesem Zusammenhang hier vor vielen Jahren gekommen ist.« Er kaute auf der Unterlippe; seine Malven schien er vergessen zu haben. »Eine junge Frau hat ein Kind bekommen – unehelich, Sie verstehen. Sie hieß Penelope. Das arme Wurm ist praktisch gleich nach der Geburt gestorben. Penelope wusste vor Kummer nicht wohin und hat eine Spiritistin aufgesucht, die ihr versprochen hat, sie mit dem toten Kind in Verbindung zu bringen.« Er seufzte. »Natürlich war das eine Betrügerin, und als Penelope dahintergekommen ist, hat sie aus Kummer fast den Verstand verloren. Sie hatte wohl geglaubt, mit dem Kind gesprochen und von ihm erfahren zu haben, dass es ihm dort sehr gut ging, und das hatte sie getröstet.« Sein Gesicht verfinsterte sich. »Die darauffolgende Enttäuschung war zuviel für sie, und sie hat sich das Leben genommen. Es war einfach grässlich. Der arme Francis hat all das mitbekommen, ohne es verhindern zu können.
Er hat sich dafür eingesetzt, dem Kind ein christliches Begräbnis zu gewähren, ist aber natürlich damit nicht durchgekommen, weil es unehelich und nicht getauft war. Deswegen
hat er sich sehr über den Ortsgeistlichen erzürnt und ihm lange gegrollt. Er selbst hätte das Kind unter allen Umständen getauft und die Konsequenzen auf sich genommen. Aber natürlich durfte er das nicht.«
Pitt überlegte, was er sagen könnte, um angemessen auszudrücken, was er angesichts dieser Geschichte empfand, doch fand er keine Worte, die seinem Zorn und seiner hilflosen Empörung gerecht geworden wären.
»Selbstverständlich hat er Penelope nach Kräften zu trösten versucht«, fuhr Duncan fort. »Er wusste, dass das Medium eine Betrügerin war, aber die Ärmste wollte nichts davon hören. Sie war einfach darauf angewiesen, glauben zu dürfen, dass ihr Kind noch irgendwo existierte. Sie war selbst noch sehr jung. Verständlicherweise ist Francis seither gegen Spiritismus jeglicher Art ausgesprochen negativ eingestellt und hat von Zeit zu Zeit geradezu eine Art Kreuzzug dagegen geführt.«
»Ja«, sagte Pitt. Das Mitgefühl wühlte ihn förmlich auf, auch wenn es zu nichts führte. »Ich kann seine Empfindungen verstehen. Kaum etwas kann grausamer sein, selbst wenn es möglicherweise nicht so gemeint ist.«
»Ja«, nickte Duncan. »So ist es in der Tat. Niemand darf ihm vorwerfen, dass er so
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