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Feinde der Krone

Feinde der Krone

Titel: Feinde der Krone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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dagegen angeht. Ich habe damals wohl sehr ähnlich empfunden.«
    Pitt dankte dem Mann und entschuldigte sich. Von anderen konnte er nichts Weiteres über Wray in Erfahrung bringen; es war an der Zeit, ihn noch einmal selbst aufzusuchen, um ihn zu fragen, wo er sich an den Abenden aufgehalten hatte, an denen laut Maude Lamonts Tagebuch der Mann, der sich hinter der Kartusche verbarg, das Haus an der Southampton Row aufgesucht hatte.
    In der Udney Road ließ ihn Mary Ann ohne Umstände ein, und Wray trat ihm in der Tür seiner Studierstube mit einem Lächeln entgegen. Ohne Pitt zu fragen, ob er gern zum Tee bleiben würde, gab er Mary Ann gleich den Auftrag, Tee, belegte Brote und Teegebäck mit Mirabellenkonfitüre zu machen. »Im vorigen Jahr hatte ich herrliche Mirabellen im Garten«, sagte er begeistert, während er Pitt in die Studierstube führte
und ihn zum Sitzen aufforderte. Mit gesenkter und völlig veränderter sehnsuchtsvoller Stimme ergänzte er: »Meine Frau hat immer großartige Konfitüre gemacht, ganz besonders aus Mirabellen.«
    Pitt fühlte sich elend. Er war sicher, dass man ihm das Schuldbewusstsein von der Stirn ablesen konnte – schließlich war er gekommen, um den Kummer dieses Mannes zu ergründen, der ihn so offensichtlich schätzte, ihm vertraute und nicht im Entferntesten vermutete, dass Pitt nicht aus Freundschaft gekommen war, sondern um seine Pflicht zu tun.
    »Vielleicht sollte ich dann nichts davon nehmen«, sagte Pitt. »Wollen Sie sie nicht lieber behalten und …« Er war nicht sicher, was er sagen wollte.
    »Aber nein«, versicherte ihm Wray. »Greifen Sie nur zu. Ich fürchte auch, es ist kein Himbeergelee mehr da, weil ich nicht widerstehen konnte. Ich teile gern mit Ihnen, was ich noch habe. Es war wirklich sehr gut.« Dann sagte er unvermittelt mit besorgtem Ausdruck: »Oder mögen Sie etwa keine Mirabellenkonfitüre?«
    »Doch, ganz im Gegenteil!«
    »Gut, dann wollen wir sie uns auch gönnen.« Er lächelte. »Und jetzt sagen Sie mir, was Sie hergeführt hat und wie es Ihnen geht, Mister Pitt. Haben Sie den Unglückseligen gefunden, der die ermordete Spiritistin aufgesucht hat?«
    Pitt war noch nicht bereit, die Frage anzuschneiden. Er hatte angenommen, einen genauen Plan zu haben, doch zeigte sich jetzt, dass das nicht der Fall war. »Nein … noch nicht«, gab er zur Antwort. »Es ist aber wichtig, dass ich ihn finde. Möglicherweise weiß er etwas, was uns helfen kann zu verstehen, warum man sie getötet hat und wer die Tat begangen hat.«
    »Ach je.« Wray schüttelte den Kopf. »Wirklich sehr betrüblich. Aus derlei Dingen entsteht gewöhnlich nur Böses. Man sollte sich mit solchen Praktiken nicht abgeben. Wer das tut, und sei es in aller Unschuld, macht damit den Teufel auf unsere Schwäche aufmerksam. Glauben Sie mir, Mister Pitt, eine solche Einladung lässt er sich nicht entgehen.«
    Pitt fühlte sich unbehaglich. Über diese Dinge hatte er sich
bisher noch keine Gedanken gemacht, vielleicht, weil sein Glaube mehr auf moralischen Grundsätzen als auf metaphysischen Vorstellungen von Gott und Satan ruhte, auf jeden Fall aber, weil er noch nie an die Möglichkeit geglaubt hatte, Geister heraufzubeschwören. Doch Wray war es mit seinen Worten völlig ernst; ein Blick auf die Leidenschaft, die in seinen Augen leuchtete, zeigte das deutlich.
    Pitt entschloss sich zu einem Kompromisskurs. »Es sieht so aus, als wenn sich diese Frau mit einer sehr menschlichen tückischen Praxis beschäftigt hätte, nämlich Erpressung.«
    »Dann war es wohl ein Mord aus moralischer Empörung«, sagte Wray ganz ruhig und schüttelte den Kopf. »Die arme Frau. Ich fürchte, sie hat sich ihr Schicksal weitgehend selbst zuzuschreiben.«
    Ein Klopfen an der Tür enthob Pitt der Notwendigkeit, mehr zu dem Thema zu sagen, und im nächsten Augenblick trat Mary Ann mit dem Teetablett ein. Es war so voller Geschirr, dass es sehr schwer wirkte, und er sprang auf, es ihr abzunehmen, damit sie es nicht fallen ließ, während sie mit einer Hand die Tür schloss.
    »Danke, Sir«, sagte sie verlegen und errötete leicht. »Sie hätten sich nicht bemühen sollen.«
    »Es macht mir wirklich nichts aus«, versicherte ihr Pitt. »Das sieht ja exzellent aus und so reichlich. Mir war noch gar nicht aufgefallen, wie großen Hunger ich habe.«
    Sie knickste befriedigt und verließ den Raum so rasch, dass Wray den Tee eingießen musste, wobei er Pitt zulächelte. »Ein angenehmes Geschöpf«, sagte er nickend.

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