Feinde der Krone
»Sie tut für mich alles, was sie kann.«
Darauf gab es keine Antwort, die nicht abgedroschen geklungen hätte. Was auf dem Tablett stand, zeigte ihre Fürsorge deutlicher, als es Worte vermocht hätten.
Schweigend aßen und tranken sie eine Weile. Der Tee war heiß und duftete verlockend, die belegten Brote waren köstlich, und das mit Butter und der süßen und zugleich kräftigen Konfitüre bestrichene Teegebäck war genau richtig.
Pitt biss hinein und hob den Blick. Wray sah ihn erwartungsvoll an. Offenkundig wollte er sehen, ob die Mirabellenkonfitüre
Pitt wirklich schmeckte, doch hätte er es wohl nicht übers Herz gebracht, ihn zu fragen.
Pitt wusste nicht, ob es besser wäre zu schweigen oder ob er sie überschwänglich loben sollte. Würde das gekünstelt klingen und als Herablassung aufgefasst? Mitleid konnte ausgesprochen verletzend wirken. Andererseits wäre ein beiläufiges Lob mit Sicherheit falsch und uneinfühlsam.
»Es ist mir gar nicht recht, Ihnen das wegzuessen«, sagte er mit vollem Munde kauend. »Etwas derart Delikates mit einem so abgerundeten Geschmack bekommen Sie nie wieder. Offenbar ist es genau die richtige Menge Zucker, denn man schmeckt die Früchte wirklich durch.« Er holte tief Luft und dachte an Charlotte sowie an Voisey und all das, was er verlieren könnte. Ihm ging durch den Kopf, wie dabei alles zerstört würde, was in seiner Welt gut und kostbar war. »Meine Frau macht die beste Orangen-Marmelade, die ich je im Leben gegessen habe«, sagte er. Entsetzt merkte er, dass seine Stimme dabei belegt klang.
»Tatsächlich?« Wray bemühte sich, seine Gefühle zu beherrschen und mit möglichst neutraler Stimme zu sprechen. Hier saßen zwei Männer, die einander kaum kannten, gemeinsam beim Nachmittagstee und dachten dabei an Konfitüren und an die Frauen, die sie mehr liebten, als sich mit Worten ausdrücken ließ.
Tränen traten in Wrays Augen und liefen ihm über die Wangen.
Pitt schluckte den letzten Mundvoll Gebäck mit Konfitüre herunter.
Wray senkte den Kopf. Seine Schultern bebten, dann schüttelte es ihn; seine Empfindungen waren stärker als er.
Wortlos stand Pitt auf, ging um den Tisch und setzte sich auf die Sessellehne des alten Mannes. Erst zögernd, dann entschlossener, legte er ihm eine Hand auf die Schulter, die sich verblüffend zerbrechlich anfühlte. Nach einer Weile legte er tröstend einen Arm um ihn, und Wray ließ seinen Tränen freien Lauf. Vielleicht war es das erste Mal, dass er das seit dem Tode seiner Frau hatte tun können.
Pitt wusste nicht, wie lange sie so gesessen hatten, als Wray
schließlich aufhörte zu zittern und sich langsam wieder aufrichtete.
Er musste dem Mann unbedingt Gelegenheit lassen, seine Würde zu wahren. Ohne ihn anzusehen, stand er auf, ging durch die Terrassentür und in den Garten hinaus, der im Sonnenschein dalag. Er wollte Wray mindestens zehn Minuten lassen, damit er seine Fassung zurückgewinnen und sich das Gesicht waschen konnte. Danach konnten beide so tun, als wäre nichts geschehen.
Vom Garten aus sah er eine hochherrschaftliche Kutsche mit ausgesuchten Pferden und einem livrierten Kutscher. Zu seiner großen Überraschung hielt sie vor Wrays Haus an, und eine Frau stieg aus. Am Arm trug sie einen Korb, der mit einem Tuch verdeckt war. Sie wirkte eindrucksvoll, hatte dunkle Haare und ein Gesicht, das nicht unbedingt schön zu nennen war, dessen Züge aber von Charakter und großer Intelligenz zeugten. Sie ging mit ungewöhnlicher Anmut und schien Pitt erst zu bemerken, als ihre Hand auf dem Türknauf lag. Vielleicht hatte sie ihn ursprünglich für einen Gärtner gehalten, bis sie dann genauer hingesehen und erkannt hatte, wie er gekleidet war.
»Guten Tag«, sagte sie. »Ist Mister Wray zu Hause?«
»Ja, aber er ist ein wenig unwohl«, antwortete er und trat auf sie zu. »Sicher würde er sich freuen, Sie zu sehen, doch wenn Sie es mir nicht übel nehmen, halte ich es für das Beste, ihm einige Minuten zu lassen, damit er sich erholen kann, Mistress …?«
»Cavendish«, sagte sie. Sie sah ihn offen an. »Sie sind nicht sein Arzt, den kenne ich. Wer sind Sie, Sir?«
»Ein Bekannter. Ich heiße Pitt.«
»Sollen wir seinen Arzt rufen? Ich kann meinen Kutscher sogleich hinschicken.« Sie wandte sich halb um. »Joseph! Dr. Trent …«
»Das dürfte nicht erforderlich sein«, sagte Pitt rasch. »In einigen Minuten geht es ihm bestimmt deutlich besser.«
Sie machte ein zweifelndes Gesicht.
»Bitte,
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