Feinde der Krone
entschieden. »Unter Umständen brauchst du jeden Penny. Also weiter. Jede Minute ist kostbar. Wo könnte er sein? Was ist im Augenblick seine dringlichste Aufgabe? Wir haben nicht viel Zeit, die halbe Stadt nach ihm abzusuchen.«
Pitt mahnte sich zur Ruhe, damit er überlegen konnte, wie Tellmans Auftrag lautete. Zuerst war er in die Bow Street gegangen, um mit Wetron zu sprechen. Das dürfte höchstens
eine Stunde gedauert haben, immer vorausgesetzt, dass Wetron dort war. Da es sein Hauptanliegen war festzustellen, wer sich hinter der Kartusche verbarg, dürfte er anschließend dieser Fährte nachgegangen sein. Ihm gegenüber hatte Pitt nicht von Bischof Underhill gesprochen, denn sein Verdacht gründete sich lediglich auf dessen Angriff gegen Aubrey Serracold.
»Wohin also?«, fragte Vespasia, während er ihr in die Kutsche half und dann selbst einstieg.
Er musste ein Ziel angeben. Ob Tellman jemandem in der Bow Street gesagt hatte, wohin er gehen würde? Vielleicht nicht, aber er durfte diese Möglichkeit nicht auslassen. »Zur Bow Street«, sagte er.
Dort angekommen, suchte er den Dienst tuenden Wachtmeister auf. »Wissen Sie, wo sich Inspektor Tellman befindet?«, fragte er, bemüht, seine Besorgnis nicht durchklingen zu lassen.
»Ja, Sir«, sagte der Mann sofort. Seinem Gesicht war anzusehen, dass er die Zeitungen gelesen hatte, und der Ausdruck des Mitgefühls darauf war ungeheuchelt. Immerhin kannte er Pitt seit vielen Jahren und glaubte, was er wusste, und nicht, was er las. »Er wollte ’n paar von den andern Kunden von dem Medium aufsuchen, das sollt’ ich Ihnen sagen, falls Sie nach ihm fragen.« Er sah Pitt besorgt an und legte ein aus einem Notizheft gerissenes Blatt vor ihn hin, auf dem mehrere Adressen vermerkt waren.
Pitt dankte innerlich dem Himmel für Tellmans Weitblick, dann versicherte er dem Beamten so aufrichtig seiner Dankbarkeit, dass dieser vor Freude errötete.
Erleichtert stieg Pitt wieder in die Kutsche, zeigte Vespasia das Blatt und fragte, ob sie nicht lieber nach Hause gebracht werden wollte, bevor er sich daran machte, der Fährte zu folgen.
»Auf keinen Fall!«, sagte sie munter. »Bitte mach weiter!«
Tellman hatte bereits nachgeprüft, ob Lena Forrest tatsächlich, wie sie behauptet hatte, zu Besuch bei ihrer Freundin in Newington gewesen war. Zwar verhielt es sich so, doch hatte Mrs. Lightfoot nur äußerst ungenaue Erinnerungen an den
Zeitpunkt dieses Besuches. Jetzt suchte er noch einmal Maude Lamonts andere Klienten auf, in der vagen Hoffnung, die Fährte zu ›Kartusche‹ aufnehmen zu können, wenn er etwas mehr über Miss Lamonts Methoden erfuhr. Obschon er nicht wirklich mit einem Erfolg rechnete, musste er doch Wetron gegenüber den Anschein erwecken, als gehe er mit Eifer jeder möglichen Spur nach. Ursprünglich hatte er in Wetron lediglich den Mann gesehen, der Pitt mehr durch Zufall als mit Absicht verdrängt hatte. Das hatte er ihm zwar übel genommen, aber ihm war klar gewesen, dass der Mann nichts dafür konnte. Irgendjemand musste schließlich die Aufgabe übernehmen. Er hatte Wetron nicht ausstehen können, nicht nur, weil er ihn für berechnend hielt, sondern auch, weil er völlig emotionslos war, und Tellman war daran gewöhnt, dass Pitt Zorn wie Mitgefühl offen zeigte. Andererseits war ihm klar gewesen, dass ihm niemand zugesagt hätte, ganz gleich, wen man auf die Stelle gesetzt hätte.
Jetzt sah er Wetron mit einem Mal vollständig anders. Der Mann, den er für einen farblosen Karriereristen gehalten hatte, war ein gefährlicher Gegner, den man gut im Auge behalten musste. Wer es fertig brachte, im Inneren Kreis in eine Führungsposition aufzusteigen, war nicht nur mutig, sondern auch rücksichtslos und im Übermaß ehrgeizig. Außerdem schien er immerhin so gerissen zu sein, dass er selbst einen Voisey überlisten konnte, sonst hätte er für Sir Charles wohl keine Bedrohung bedeutet.
Nur ein Dummkopf gab sich einem solchen Mann gegenüber Blößen in Worten oder Taten. Also gab sich Tellman den Anschein, als wolle er ›Kartusche‹ aufspüren. Zuvor aber hatte er beim Dienst tuenden Beamten eine Liste der Orte hinterlegt, die er aufzusuchen gedachte, für den Fall, dass Pitt im Zusammenhang mit einem der Punkte, auf die es wirklich ankam, mit ihm Verbindung aufnehmen wollte.
Gerade ließ er sich von einer Mrs. Drayton von der letzten Séance berichten, an der sie teilgenommen hatte. Während sie erzählte, dabei sei es zu so
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