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Feinde der Krone

Feinde der Krone

Titel: Feinde der Krone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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wartete.
    Er hatte weder Wäsche zum Wechseln noch Socken oder Hemden mitgenommen, weder Rasierzeug noch Kamm oder Zahnbürste. All das war jetzt unwichtig. Nur fiel es ihm im Augenblick leichter, an die kleinen Dinge zu denken als an die großen. Wie sollte er die ihm Anvertrauten verteidigen, wenn Voisey jemanden ausschickte, um ihnen zu schaden? Und was, wenn sie bereits fort waren, wenn er ankam? Wie könnte er sie dann finden? So unerträglich diese Vorstellung war, er konnte sie nicht aus seinen Gedanken vertreiben.
    Trübselig sah er aus dem Fenster. Sie fuhren doch sicher schon durch Devon? Immerhin war er seit sechs Stunden unterwegs! Ihm fiel auf, wie rot die Erde war, ganz anders, als er es aus der Umgebung Londons gewohnt war. Die Landschaft erstreckte sich unendlich, und vor ihm in der Ferne wirkte sie sogar jetzt im Hochsommer recht unwirtlich. Die Gleise zogen sich über die anmutig geschwungenen Bogen eines Viadukts dahin. Einen kurzen Augenblick lang beeindruckte ihn der Wagemut, den es bedeutete, einen solchen Bau in Angriff zu nehmen. Dann merkte er, dass der Zug langsamer wurde. Sie fuhren in einen Bahnhof ein.
    Ivybridge! Endlich! Er riss die Tür auf und wäre in seiner Eile, auf den Bahnsteig zu gelangen, fast gestolpert. Die Abendsonne warf Schatten, die zwei- bis dreimal so lang waren wie die Gegenstände, von denen sie ausgingen. Der Horizont im Westen leuchtete in so kräftigen Farben, dass es seine Augen schmerzte. Als er sich abwandte, war er einen Augenblick lang geblendet.
    »Kann ich Ihnen helfen, Sir?«
    Er kniff die Augen zusammen und fuhr herum. Ihm gegenüber stand ein Mann in einer außergewöhnlich schmucken Uniform. Es war der Stationsvorsteher, der sein Amt offensichtlich sehr ernst nahm.
    »Ja!«, sagte Tellman mit Nachdruck. »Ich muss so rasch wie
möglich nach Harford. Innerhalb der nächsten halben Stunde. Ich brauche ein Fahrzeug, das mir mindestens einen ganzen Tag zur Verfügung steht. Wo kann ich so etwas bekommen?«
    »Tja.« Der Mann schob die Mütze in den Nacken und kratzte sich am Kopf. »Was für ein Fahrzeug brauchen Sie denn, Sir?«
    Tellman konnte seine Ungeduld kaum zügeln. Es kostete ihn eine übermenschliche Anstrengung, den Bahnhofsvorsteher nicht anzubrüllen. »Völlig egal. Es ist dringend.«
    Der Mann schien nach wie vor unbeeindruckt. »In dem Fall, Sir, sollten Sie es bei Mister Callard da hinten an der Straße versuchen.« Er wies in die Richtung. »Vielleicht hat er was. Sonst wäre da noch der alte Mister Drysdale, gut zwei Kilometer in der anderen Richtung. Er hat manchmal ein Fuhrwerk, das er eine Weile nicht braucht.«
    »Ein schnelleres Fahrzeug wäre besser, und ich habe keine Zeit, es in beiden Richtungen zu versuchen«, sagte Tellman, bemüht, seine Stimme furchtlos und beherrscht klingen zu lassen.
    »Dann gehen Sie am besten nach links rüber. Fragen Sie Mister Callard. Wenn er nichts hat, weiß er vielleicht, wer Ihnen weiterhelfen kann.«
    Sofort machte sich Tellman auf den Weg und rief über die Schulter zurück »Danke!«.
    Der Weg führte leicht bergab, und Tellman schritt so rasch aus, wie er konnte. Auf dem Hof des Fuhrunternehmers angekommen, dauerte es weitere fünf Minuten, bis er den Mann gefunden hatte, den seine Eile ebenso wenig zu beeindrucken schien wie den Bahnhofsvorsteher. Doch der Anblick von Vespasias Geld veranlasste ihn zu der Erklärung, er habe ein relativ leichtes Fahrzeug, das ein halbes Dutzend Menschen aufnehmen könne, und ein recht gutes Pferd. Er ließ sich eine unmäßig hohe Anzahlung geben, wogegen Tellman anfänglich aufbegehrte. Dann fiel ihm ein, dass er selbst nicht wusste, wie oder wann er das Gespann zurückgeben könnte und dass seine Fähigkeit, es zu lenken, äußerst unterentwickelt war. Unbeholfen stieg er auf den Kutschbock und hörte Callard unzufrieden vor sich hin brummeln, als er sich abwandte. Äußerst
zögernd veranlasste Tellman das Pferd, sich in Gang zu setzen, und lenkte das Gespann auf die Straße, von der man ihm gesagt hatte, dass sie nach Harford führte.
    Eine halbe Stunde später klopfte er an die Tür des Häuschens, das den Namen ›Appletree‹ trug. Es war dunkel, und er konnte durch einen Vorhangspalt am Fenster sehen, dass im Hause Licht brannte. Unterwegs war er lediglich einem Mann auf einem Fuhrwerk begegnet, den er nach dem Weg gefragt hatte. Mit einem Mal fiel ihm auf, wie tief die Finsternis um ihn herum war, und er nahm den scharfen Geruch wahr, den der Wind von

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