Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Feinde der Krone

Feinde der Krone

Titel: Feinde der Krone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
Vom Netzwerk:
seinen maßlosen Ehrgeiz zu befriedigen.«
    Carlisle sah Pitt einige Augenblicke lang aufmerksam an. »Und was also soll ich tun?«, erkundigte er sich.
    »Dafür sorgen, dass die Leiche von Francis Wray obduziert wird«, sagte Vespasia.
    Carlisle schluckte, als hätte er beinahe die Fassung verloren.
    Vespasia lächelte leicht. »Wenn das so ohne weiteres möglich wäre, mein Bester, hätte ich mich nicht um Hilfe an Sie zu wenden brauchen. Man hält den Armen für einen Selbstmörder, auch wenn die Kirche natürlich nie zulassen wird, dass jemand aus ihren Reihen das in Worte fasst. Man wird von einem tragischen Unglücksfall sprechen, um ihn kirchlich bestatten zu können. Trotz allem wird die Öffentlichkeit bei ihrer Überzeugung bleiben, dass er sich das Leben genommen hat – und genau das gehört zum Racheplan unseres Feindes an Mister Pitt, der sonst weit weniger wirksam wäre.«
    »Ich verstehe«, sagte Carlisle. »Wenn niemand glaubt, dass er sich das Leben genommen hat, kann ihn auch niemand in
den Selbstmord getrieben haben.« Er wandte sich an Pitt. »Und was ist Ihrer Ansicht nach geschehen?«
    »Vermutlich hat man ihn ermordet«, gab er zur Antwort. »Ich bezweifle, dass es sich um einen Unglücksfall handelte. Immerhin müsste er sich genau zu dem Zeitpunkt ereignet haben, der am besten in Voiseys Pläne passte. Zwar weiß ich nicht, ob eine Obduktion die nötigen Beweise liefert, aber eine andere Möglichkeit haben wir nicht.«
    Schweigend dachte Carlisle eine Weile nach. Weder Pitt noch Vespasia unterbrachen ihn. Sie sahen einander an und blickten dann jeder vor sich hin, während sie auf seine Antwort warteten.
    Schließlich sagte er: »Sofern Sie bereit sind, sich mit dem Ergebnis abzufinden, ganz gleich, wie es ausfällt, denke ich, dass ich eine Möglichkeit sehe, den zuständigen Untersuchungsbeamten von der Notwendigkeit einer Obduktion zu überzeugen.« Er lächelte ein wenig säuerlich. »Dazu wird es nötig sein, die Wahrheit ein wenig zu verbiegen, aber ich habe auf diesem Gebiet schon früher eine gewisse Fertigkeit bewiesen. Ich denke, je weniger Sie darüber wissen, Mister Pitt, um so besser.«
    Vespasia stand auf. »Danke, Somerset. Ich nehme an, Ihnen ist klar, wie dringlich diese Sache ist? Am besten wäre es, wenn die Obduktion gleich morgen stattfinden könnte. Je länger die Verleumdungskampagne gegen Mister Pitt andauert, desto mehr Menschen erfahren davon und um so schwieriger wird es, ihn anschließend zu rehabilitieren. Außerdem ist natürlich die Frage der Unterhauswahl zu berücksichtigen. Sobald die Wählerlisten geschlossen sind, wird es ausgesprochen schwierig sein, gewisse Dinge rückgängig zu machen.«
    Carlisle öffnete den Mund und schloss ihn wieder. »Auf Sie kann man sich wirklich verlassen, Lady Vespasia«, sagte er und erhob sich ebenfalls. »Ich schwöre, seit meinem zwanzigsten Lebensjahr sind Sie der einzige Mensch, der mich auf dem falschen Fuß erwischen kann, und Sie schaffen es jedes Mal. Bewundert habe ich Sie stets, ahne aber nicht, warum ich Sie auch so gut leiden kann.«
    »Weil Ihnen ein reizloses Leben nicht zusagt, mein Bester«,
erwiderte sie ohne zu zögern. »So etwas halten Sie höchstens ein oder zwei Monate aus, dann wird es Ihnen langweilig.« Sie warf ihm ein bezauberndes Lächeln zu, als hätte sie ihm ein großes Kompliment gemacht, und hielt ihm die Hand hin, die er formvollendet küsste. Dann nahm sie Pitts Arm und verließ den Raum mit hoch erhobenem Kopf.
    Sie hatten die Hotelhalle gerade zur Hälfte durchschritten, als Pitt sah, wie sich Voisey bei einer Gruppe von Menschen entschuldigte und auf sie zukam. Das selbstsichere Lächeln auf seinem Gesicht zeigte Pitt, dass er sich als Sieger fühlte, den Triumph genoss und ihn in vollen Zügen auskostete. Höchstwahrscheinlich lag darin der Zweck seiner Anwesenheit. Welchen Sinn hatte Rache, wenn man nicht sehen konnte, wie sich der Feind in Qualen wand? Und hier konnte er sich nicht nur am Anblick Pitts, sondern auch an dem Lady Vespasias weiden.
    Nie würde er ihr die entscheidende Rolle verzeihen, die sie in der Whitechapel-Affäre gespielt hatte. Sie hatte nicht nur zu seiner Niederlage beigetragen, sondern all ihren Einfluss daran gesetzt, ihm sein Adelsprädikat zu verschaffen, das ihm die Durchführung seines Plans ein für alle Mal unmöglich machte. Es war nicht auszuschließen, dass er mit seinem Bestreben, Pitt zugrunde zu richten, sie ebenso sehr treffen wollte wie ihn.

Weitere Kostenlose Bücher