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Feinde der Krone

Feinde der Krone

Titel: Feinde der Krone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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der offenen Heide herübertrug. Er konnte sie nicht mehr sehen, wusste aber, dass sie im Norden lag, und sie schien ihm unter den hier und da aufblitzenden Sternen noch schwärzer zu sein als die Dunkelheit um ihn herum. Es war eine völlig andere Welt als in der großen Stadt, und er fühlte sich fremd darin, wusste weder, was er tun, noch wie er vorgehen sollte. Es gab niemanden, an den er sich wenden konnte. Pitt hatte ihm die Rettung der Frauen und Kinder anvertraut. Wie nur sollte er sich dieser Aufgabe gewachsen zeigen? Er hatte nicht die geringste Vorstellung, was er tun konnte.
    »Wer ist da?«, fragte jemand hinter der Tür. Es war Gracies Stimme. Sein Herz tat einen Sprung.
    »Ich!«, rief er und fügte dann verlegen hinzu: »Tellman.«
    Er hörte, wie ein Riegel zurückgeschoben und die Tür geöffnet wurde. Im von Kerzenschein erhellten Inneren stand Gracie, Charlotte gleich hinter ihr, den Schürhaken in der Hand. Nichts hätte ihm deutlicher zeigen können, dass etwas ihnen weit mehr Angst eingejagt hatte als das bloße Klopfen eines Fremden an der Tür.
    Er sah die Besorgnis und die Frage in Charlottes Gesicht.
    »Mister Pitt geht es gut, Ma’am«, sagte er als Antwort darauf. »Die Sache ist nicht einfach, aber er schlägt sich wacker.«
    Sollte er ihr von Wrays Tod und allem berichten, was dazu gehörte? Sie könnte es ohnehin nicht ändern, und es würde ihr nur Sorgen bereiten. Jetzt ging es darum, dass sie sich um sich selbst kümmerte und einen anderen Zufluchtsort aufsuchte. War es klug, ihnen zu sagen, wie dringend diese Notwendigkeit war? Gehörte es zu seinen Aufgaben, sie nicht nur
vor der ihnen drohenden Gefahr zu bewahren, sondern auch vor der Furcht?
    Würden sie andererseits den Aufbruch nicht zügig genug betreiben, wenn er die Wahrheit verschwieg? Er hatte schon im Zug darüber nachgedacht und geschwankt, wie er sich verhalten sollte, einen Entschluss gefasst und ihn sogleich wieder verworfen.
    »Was wollen Sie dann hier?«, drang Gracies Stimme in seine Gedanken. »Wenn alles in Ordnung is, warum sind Sie dann nich in London und tun Ihre Arbeit? Haben Sie etwa schon raus, wer die Geisterfrau umgebracht hat?«
    »Nein«, gab er zur Antwort und trat ins Haus, damit sie die Tür schließen konnte. Beim Anblick ihres bleichen, gefassten Gesichts und ihres starren Körpers in dem einfachen Kleid, das sie trug, musste er sich bemühen, seine Gefühle zu unterdrücken, verhindern, dass sie ihm die Sprache nahmen. »Mister Pitt kümmert sich darum. Es hat einen weiteren Todesfall gegeben, und er muss beweisen, dass es sich nicht um Selbstmord handelt.«
    »Und warum tun Sie nix dazu?« Gracie war alles andere als zufrieden. »Sie seh’n ja aus, wie wenn Ihnen sonst was passiert wär. Was is denn bloß los?«
    Er sah, dass sie auf keinen Fall bereit war, sich mit irgendwelchen Ausreden abspeisen zu lassen. Zwar ärgerte ihn das, doch war es andererseits so kennzeichnend für sie, dass ihm die Tränen in die Augen stiegen. Lachhaft! Er durfte auf keinen Fall zulassen, dass sie ihn so behandelte!
    »Mister Pitt ist der Ansicht, dass Sie hier nicht in Sicherheit sind«, sagte er knapp. »Mister Voisey weiß, wo Sie sich aufhalten, und deshalb soll ich Sie sofort umquartieren. Wahrscheinlich besteht keine Gefahr, aber sicher ist sicher.« Er sah die Besorgnis in Charlottes Gesicht und begriff, dass beiden Frauen trotz Gracies gespielter Tapferkeit die Gefahr ebenso bewusst war wie Pitt. Er schluckte. »Es wäre am besten, Sie machen die Kinder reisefertig, damit wir gleich fahren können, solange es dunkel ist. Um diese Jahreszeit sind die Nächte nicht lang. Wir müssen diese Gegend in drei bis vier Stunden hinter uns haben, weil es dann schon hell ist.«
    Charlotte regte sich nicht. »Sind Sie sicher, dass Thomas nichts fehlt?«, fragte sie mit großen Augen. In ihrer Stimme schwang Zweifel mit.
    Falls er ihr sagte, wie die Dinge standen, würde er damit Pitt die Notwendigkeit ersparen, das zu tun, wenn sie schließlich nach London zurückkehrten. Außerdem wäre ihre Angst um ihn dann vielleicht nicht so groß. Jetzt würde ihm Voisey sicher nichts tun – er war ihm lebend wichtig, denn er wollte ihn leiden sehen.
    »Samuel!«, Gracies Stimme klang scharf.
    »Na ja, teils, teils«, gab er zur Antwort. »Voisey hat es geschafft, nach außen hin den Anschein zu erwecken, als hätte Mister Pitt die Schuld am Selbstmord dieses Mannes. Er war ein beliebter Theologe. Natürlich hat er nichts

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