Feinde der Krone
gesprochen hatte, der jetzt tot war.
»Fangen wir gleich mit den Fragen an«, sagte Narraway, als sie den Wasserkessel füllte und die Ofenklappe öffnete, um die Glut aufs Neue zu entfachen. »Was haben Sie an dem Tag auf den Tisch gebracht, als Mister Pitt zum Tee hier war und Mister Wray starb?«
»Ach je!« Sie schien verwirrt. »Belegte Brote, Teegebäck mit Konfitüre, glaube ich. Kuchen hatten wir keinen.«
»Und welche Art Konfitüre?«
»Mirabellen.«
»Sind Sie Ihrer Sache sicher, ganz und gar sicher?«
»Ja. Seine Frau hatte sie selbst gemacht, es war ihre Lieblingskonfitüre.«
»Nicht Himbeer?«
»Es war keine im Haus. Mister Wray hatte sie aufgegessen. Das war nämlich seine Lieblingskonfitüre.«
»Könnten Sie das vor einem Richter beschwören, wenn es nötig wäre?«, fasste Narraway nach.
»Ja. Natürlich. Ich kann Himbeeren von Mirabellen unterscheiden. Aber warum? Was ist passiert?«
Narraway ging nicht auf die Frage ein. »Und kurz bevor Mister Pitt ging, kam Mistress Cavendish zu Besuch?«
»Ja.« Sie sah erneut zwischen Pitt und Narraway hin und her. »Sie hat ihm Törtchen mit Himbeerkonfitüre, einen Kuchen mit Vanillepudding und ein Buch gebracht.«
»Wie viele Törtchen?«
»Zwei. Warum? Stimmt was nicht?«
»Und wissen Sie, ob er beide gegessen hat?«
»Was ist denn nur?« Sie war sehr bleich.
»Sie haben nicht selbst eines gegessen?«, bohrte Narraway nach.
»Natürlich nicht«, sagte sie hitzig. »Sie waren für ihn! Was glauben Sie eigentlich von mir – ich ess doch nicht die Törtchen, die ihm eine Freundin bringt.«
»Ich glaube, dass Sie ehrlich sind«, sagte Narraway, plötzlich sanftmütig. »Und ich denke, dass Ihnen diese Ehrlichkeit das Leben gerettet hat, so dass Sie das Haus erben konnten, das ein großzügiger Mensch Ihnen zum Lohn für Ihre Güte hinterlassen hat.« Sie errötete über das Kompliment.
»Haben Sie gesehen, was für ein Buch ihm die Dame gebracht hat?«, fragte Narraway.
Sie hob rasch den Blick. »Ja. Es waren Gedichte.«
»War es das Buch, das man neben ihm gefunden hat, als er starb?« Narraway zögerte kaum wahrnehmbar, diese Frage zu stellen, aber ihm blieb keine Wahl.
Sie nickte. Tränen stiegen ihr in die Augen. »Ja.«
»Sind Sie sicher?«
»Ja.«
»Können Sie schreiben, Mary Ann?«
»Aber natürlich!« Dem Stolz, mit dem sie das sagte, war anzumerken, dass sie das für alles andere als selbstverständlich hielt.
»Gut«, sagte Narraway billigend. »Dann nehmen Sie bitte ein Blatt und eine Feder und schreiben genau auf, was Sie uns
gesagt haben: dass es an jenem Tag im Haus keine Himbeerkonfitüre gab, bis Mistress Octavia Cavendish kam und zwei Himbeertörtchen gebracht hat, die Mister Wray beide verzehrt hat. Schreiben Sie bitte auch, dass sie den Gedichtband gebracht hat, den man neben ihm gefunden hat. Dann setzen Sie das heutige Datum darunter und unterschreiben das Ganze.«
»Warum?«
»Bitte tun Sie, was ich gesagt habe, ich erkläre es Ihnen anschließend. Schreiben Sie es zuerst. Es ist wichtig.«
Sie merkte an seinem Gesichtsausdruck, dass es sich um eine bedeutende Angelegenheit handelte, und so entschuldigte sie sich und ging in die Studierstube. Etwa zehn Minuten später kehrte sie zurück und gab Narraway ein sauber beschriebenes Blatt mit den erbetenen Angaben, die sie datiert und unterschrieben hatte.
Unterdessen hatte Pitt den Kessel vom Herd genommen. Narraway las das Geschriebene durch, dann gab er das Blatt Pitt, der es einsteckte, nachdem auch er sich vergewissert hatte, dass es alle nötigen Angaben enthielt.
Narraway sah ihn scharf an, verlangte es aber nicht zurück.
»Nun?«, fragte Mary Ann. »Sie haben gesagt, Sie würden es mir erklären, wenn ich Ihnen das aufschreibe.«
»Ja«, sagte Narraway. »Mister Wray ist an vergifteter Himbeerkonfitüre gestorben.« Sie erbleichte und hielt den Atem an. Ohne darauf zu achten, fuhr er fort: »Es handelte sich um Digitalis-Gift, das in der Natur im Fingerhut vorkommt, von dem Sie einige sehr schöne Exemplare im Garten haben. Manche haben die Annahme geäußert, Mister Wray habe sich aus den Blättern einen Trank bereitet und ihn in der Absicht zu sich genommen, seinem Leben ein Ende zu setzen.«
»Das hätte er nie getan!«, sagte sie empört. »Ich weiß das, auch wenn das manchen nicht klar ist.«
»Sicher«, stimmte Narraway zu. »Und Sie haben uns sehr dabei geholfen zu beweisen, dass es sich nicht so verhält. Nur sollten Sie in Ihrem
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