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Feinde der Krone

Feinde der Krone

Titel: Feinde der Krone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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äußerst unpassend«, sagte er scharf. »Er hat Lebemänner und Halbweltdamen gemalt, Menschen, für die du dich auf keinen Fall interessieren solltest! Mitunter habe ich den Eindruck, dass du überhaupt nicht an deine Verantwortung denkst, Isadora. Es wird Zeit, dass du deine Position sehr viel ernster nimmst.«
    »Es ist eine Ausstellung seiner Porträts!«, erwiderte sie bissig und wandte sich ihm wieder zu. »Daran gibt es überhaupt nichts Unpassendes. Einige zeigen Dienstboten mit ausgesprochen angenehmen Gesichtern. Sie sind ordentlich angezogen und tragen sogar Hüte!«
    »Es gibt keinen Anlass, die Sache ins Lächerliche zu ziehen«, entgegnete er. »Als ob du nicht genau wüsstest, dass niemand tugendhaft ist, nur weil er einen Hut trägt.«
    Verblüfft fragte sie ihn: »Und woher sollte ich das wissen?«
    »Weil dir ebenso wie mir bekannt ist, was für gottlose und lästerliche Reden viele der Frauen führen, die jeden Sonntag zur Kirche gehen«, sagte er, »und die tragen auch Hüte.«
    »Das ist doch absurd«, sagte sie aufgebracht. »Was fehlt dir? Geht es dir nicht gut?« In diesen Worten lag keine Besorgnis, denn er neigte zur Wehleidigkeit, und sie war nicht mehr bereit, das mitzumachen. Mit einem Mal fiel ihr auf, welche
Veränderung mit ihm vorging. Der letzte Rest von Farbe wich aus seinem Gesicht.
    »Sehe ich etwa krank aus?«, erkundigte er sich.
    »Das kann man wohl sagen«, erwiderte sie ernst. »Was hast du zu Mittag gegessen?«
    Seine Augen weiteten sich leicht, als sei ihm plötzlich ein angenehmer und erfreulicher Gedanke gekommen. Dann wurden seine Wangen rot vor Zorn. »Gebratene Scholle!«, knurrte er. »Ich möchte heute Abend lieber allein essen. Ich muss noch an einer Predigt arbeiten.« Ohne ein weiteres Wort und ohne sie anzusehen, wandte er sich auf dem Absatz um, kehrte in sein Arbeitszimmer zurück und schloss die Tür mit vernehmlichem Nachdruck.
    Bis zum Abendessen hatte er es sich offenkundig anders überlegt. Isadora hatte keinen großen Appetit, doch da die Köchin eine Mahlzeit zubereitet hatte, wäre es ihr unfreundlich erschienen, nichts davon zu essen. Als sie sich an den Tisch gesetzt hatte, erschien mit einem Mal auch der Bischof. Sie überlegte, ob sie seinen Sinneswandel kommentieren sollte, beschloss aber, nichts zu sagen. Vielleicht würde er ihre Worte als Sarkasmus oder Kritik auslegen – oder ihr, schlimmer noch, ausführlicher, als sie wollte, mitteilen, wie es ihm ging.
    Die Suppe aßen sie schweigend. Als das Mädchen den Lachs und das Gemüse hereinbrachte, ergriff er das Wort.
    »Es steht nicht zum Besten. Ich nehme an, dass du nichts von Politik verstehst, aber es sieht ganz so aus, als ob neue Kräfte Macht und Einfluss über gewisse Teile der Gesellschaft gewinnen, Menschen, die sich von neuen Gedanken einfach deswegen verlocken lassen, weil sie neu sind –« Er hielt inne. Offensichtlich hatte er vergessen, was er sagen wollte.
    Sie wartete, mehr aus Höflichkeit als aus Interesse.
    »Ich mache mir Sorgen um die Zukunft«, sagte er leise und sah auf seinen Teller.
    Da sie an seine hochtrabenden Äußerungen gewöhnt war, verblüffte es sie, dass sie ihm diesmal tatsächlich glaubte. Sie hörte Angst in seiner Stimme. Hier ging es nicht um frömmlerische Bedenken in Bezug auf das Schicksal der Menschheit, sondern um eine wirkliche, tief empfundene Angst von der
Art, die einen Menschen nachts schweißnass und mit wild schlagendem Herzen aus dem Schlaf schreckt. Was mochte er erfahren haben, das ihn so aus seiner üblichen Selbstgefälligkeit herausgerissen hatte? Die Gewissheit, immer Recht zu haben, war ihm zur zweiten Natur geworden und schirmte ihn vor den Pfeilen des Zweifels, denen die meisten Menschen von Zeit zu Zeit erlagen.
    Konnte es sich um etwas Wichtiges handeln? Sie wollte es eigentlich nicht wissen. Vermutlich ging es um irgendeine belanglose Kränkung oder Streitigkeit innerhalb der Kirchenhierarchie, möglicherweise war es auch etwas, was schwerer wog: jemand, der ihm am Herzen lag, konnte in Ungnade gefallen sein. Sie hätte ihn fragen müssen, brachte aber an diesem Abend nicht die nötige Geduld auf, sich eine weitere Variation alter Themen anzuhören, die er ihr in der einen oder anderen Gestalt während ihres ganzen Ehelebens immer wieder vorgetragen hatte.
    »Mehr als dein Bestes kannst du nicht tun«, sagte sie ganz ruhig. »Ich denke, wenn du dir die Dinge eins ums andere vornimmst, wird es gehen.« Dann aß sie

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