Feinde der Krone
Wellentäler waren dunkel, und das Licht des frühen Morgens brach sich auf den Kämmen. Kurz bevor sich Phillips abwandte, sah ich in seinem Gesicht, dass auch ihm diese Schönheit etwas bedeutete. Ich weiß nicht einmal mehr, was er gerade tat.« Sein Blick war in die Ferne gerichtet, galt einem Augenblick seiner Vergangenheit, in dem er etwas begriffen und den Zauber des Verstehens erlebt hatte.
Sie lächelte, nahm mit ihm daran teil, versetzte sich in die Welt, die er da heraufbeschwor. Sie stellte sich ihn gern auf dem Deck eines Schiffes vor. An einem solchen Ort schien er ihr in seinem Element zu sein, er war ihm weit angemessener als ein Schreibtisch im Polizeipräsidium. Allerdings hätte sie ihn nie kennen gelernt, wenn er noch dort wäre, und falls er je zur See zurückkehrte, würde sie unablässig das Wetter im Auge behalten, jedes Mal um ihn fürchten, wenn es stürmte, und wenn sie hörte, dass ein Schiff in Seenot sei, sich jedes Mal fragen, ob es wohl das seine war.
Er erkannte die Wärme in ihren Augen und sah sie an. »Tut mir Leid«, entschuldigte er sich rasch und wandte sich ein wenig unbeholfen ab, weil er merkte, dass er rot wurde. »Das sind so Tagträume.«
»So etwas habe ich oft«, sagte sie.
»Tatsächlich?« Überrascht wandte er sich ihr wieder zu. »Wo sind Sie dann … ich meine, wohin zieht es Sie?«
»Überallhin, wo Sie sind«, wäre die Wahrheit gewesen. »Wo ich noch nicht war«, sagte sie stattdessen. »Vielleicht ans Mittelmeer. Wie wäre es mit Alexandria oder irgendwo in Griechenland?«
»Ich glaube, dort würde es Ihnen gefallen«, sagte er leise. »Das Meer ist blau, und das Licht ist mit keinem anderen vergleichbar, hell und klar. Aber Westindien ist auch sehr schön … ich meine die Inseln. Wenn man sich nicht zu weit südlich aufhält, ist die Malariagefahr nicht besonders groß. Ich denke an Jamaika oder die Bahamas.«
»Wären Sie gern noch auf See?« Sie fürchtete die Antwort. Vielleicht zog es ihn dorthin.
Er sah sie an. Für einen Moment schien er alle Vorsicht und Diskretion zu vergessen. »Nein.« Es war nur ein einziges Wort, doch der Nachdruck in seiner Stimme erfüllte es mit allem, was sie hatte hören wollen.
Sie spürte, wie die Röte in ihr aufstieg. Vor Erleichterung wurde ihr fast schwindelig. Er war nicht anders als zuvor, hatte nichts Besonderes gesagt, lediglich eine einfache Frage über Reisen beantwortet. Es war ein einziges Wort, doch sie fühlte sich vom Sinn, der darin lag, wie von einer riesigen Welle hoch in die Luft gehoben. Sie lächelte ihm zu und zeigte flüchtig unverhüllt, was sie empfand. Dann wandte sie sich wieder dem Bild zu und machte eine belanglose Bemerkung über Farbe und Oberflächenstruktur. Sie hörte selbst nicht auf das, was sie sagte, und ihr war klar, dass auch er es nicht tat.
Sie schob die Heimkehr so lange wie möglich hinaus. Sie würde das Ende eines Traumes bedeuten, die Rückkehr in die Wirklichkeit ihres Alltags, der sie entflohen war. Sie wäre zwangsläufig mit Schuldgefühlen verbunden, weil sie nur mit dem Körper dort sein würde, wo sie sein sollte, aber nicht mit dem Herzen.
Kurz vor sieben Uhr schloss sie die Haustür auf und fühlte sich in der Trostlosigkeit des Hauses gefangen, kaum dass sie es betreten hatte. Es war einfach lachhaft. In Wahrheit war es ein sehr angenehmes Haus, behaglich eingerichtet und voller fröhlicher Farben. Die Trostlosigkeit kam aus ihrem Inneren. Sie ging zur Treppe, die nach oben führte. Gerade, als sie den Fuß auf die unterste Stufe setzte, kam der Bischof aus seinem Arbeitszimmer. Seine Haare waren ein wenig zerzaust, als wäre er mit der Hand hindurchgefahren. Sein Gesicht war bleich, dunkle Ringe lagen unter seinen Augen.
»Wo warst du?«, fragte er gereizt. »Weißt du, wie spät es ist?«
»Fünf Minuten vor sieben«, gab sie mit einem Blick auf die Standuhr an der Wand gegenüber zur Antwort.
»Das war eine rhetorische Frage, Isadora«, blaffte er sie an. »Ich kann die Uhr selbst lesen. Damit hast du noch nicht gesagt, wo du warst.«
»In der Nationalgalerie. Ich habe mir die Hogarth-Ausstellung angesehen«, gab sie mit ausdrucksloser Höflichkeit zurück.
Er hob die Brauen. »So spät noch?«
»Ich habe einige Damen getroffen und mich mit ihnen unterhalten«, erklärte sie wahrheitsgemäß. Es ärgerte sie, sich ihm gegenüber gerechtfertigt zu haben. Sie wandte sich ab, um nach oben zu gehen und sich zum Abendessen umzukleiden.
»Das ist
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