Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Feinde der Krone

Feinde der Krone

Titel: Feinde der Krone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
Vom Netzwerk:
Brauen, als gehe ihm jetzt erst auf, wie sehr ihn das wunderte.
    »Aber er war Ihres Wissens mindestens dreimal da?«, vergewisserte sich Pitt.
    »Ja. Es war ihm sehr ernst«, erklärte Kingsley und hob jetzt den Blick, da es keine eigenen Empfindungen mehr zu schützen gab. Der Mann hatte nichts in ihm angerührt, kein Mitgefühl. »Er stellte einige sehr eigentümliche Fragen und gab keine Ruhe, bis Miss Lamont sie beantwortet hatte«, sagte er. »Ich habe sie einmal gefragt, ob sie ihn für einen Skeptiker halte, einen Zweifelsüchtigen, aber sie schien seine Gründe zu kennen und von seinen Fragen nicht weiter beeindruckt zu sein. Ich … ich finde das …« Er hielt inne.
    »Befremdlich?«, hakte Tellman nach.
    »Eigentlich wollte ich ›beruhigend‹ sagen«, gab Kingsley zur Antwort.
    Er erklärte das nicht weiter, aber Pitt verstand ihn. Maude Lamont musste sich ihrer Fähigkeiten sehr sicher gewesen sein, ganz gleich, wie diese beschaffen waren, wenn sie sich bei ihren Sitzungen durch die Anwesenheit eines Skeptikers nicht bedroht fühlte. Offenkundig aber war ihr der Hass nicht bewusst gewesen, der zu ihrem Tod geführt hatte.
    »Und hat dieser Mann keinen Menschen benannt, mit dem er in Verbindung gebracht werden wollte?«, fragte er.
    »Doch, mehrere«, sagte Kingsley, »aber ihm schien an keinem besonders gelegen zu sein. Ich hatte eher den Eindruck, als hätte er die Namen aufs Geratewohl gesagt.«
    »Und ging es ihm um ein bestimmtes Thema?« Pitt war nicht bereit, so ohne weiteres aufzugeben.
    »Nicht dass ich wüsste.«
    Pitt sah ihn ernsthaft an. »Wir wissen nicht, um wen es sich handelt, General Kingsley. Er könnte der Mörder Maude Lamonts sein.« Er sah, wie Kingsley zusammenzuckte und der Ausdruck der Verlorenheit in seine Augen zurückkehrte. »Ist Ihnen an seiner Stimme oder seinem Verhalten etwas aufgefallen oder irgendetwas anderes? An seiner Kleidung, der Art, wie er sich gab? War er gebildet? Welche Überzeugungen oder Ansichten hat er vertreten? Was könnte Ihrer Meinung nach
sein Hintergrund sein, seine Stellung in der Gesellschaft, welcher Einkommensgruppe könnte er angehören? Sofern er einen Beruf ausübt, welcher ist es? Hat er je Angehörige erwähnt, von einer Frau gesprochen oder gesagt, wo er wohnt? Ist er von weither gekommen? Können Sie irgendetwas darüber sagen?«
    Wieder dachte Kingsley so lange nach, dass Pitt schon fürchtete, er werde keine Antwort bekommen. Dann sagte er langsam: »Seine Sprechweise lässt auf eine glänzende Erziehung schließen. Dem Wenigen nach, was er gesagt hat, beschäftigt er sich eher mit der Geisteswissenschaft als mit der Naturwissenschaft. Soweit ich sehen konnte und überhaupt darauf geachtet habe, kleidete er sich zurückhaltend, dunkel. Er wirkte unruhig, doch habe ich das auf den Anlass zurückgeführt. Ich kann mich nicht an bestimmte Ansichten erinnern, die er geäußert hätte, würde aber vom Gefühl her sagen, dass er insgesamt eine konservativere Haltung vertritt als ich.«
    Pitt musste an den Zeitungsartikel denken. »Halten Sie sich nicht für konservativ, General Kingsley?«
    »Nein, Sir.« Jetzt sah ihm Kingsley offen in die Augen. »Ich habe im Heer gedient. Da gibt es die verschiedensten Männer, und ich würde gern wissen, wo man gegenwärtig den einfachen Soldaten gerechter behandelt als bei uns. Ich denke, wer Seite an Seite mit anderen Entbehrungen ertragen und dem Tod ins Auge gesehen hat, erkennt deren Wert weit deutlicher, als das bei anderen Gelegenheiten möglich wäre.«
    Sein Gesichtsausdruck war so offen, dass Pitt nicht anders konnte, als ihm zu glauben. Dennoch widersprachen seine Worte krass dem, was er an vier verschiedene Zeitungen geschrieben hatte. Pitt war überzeugter denn je, dass Kingsley in die Angelegenheit mit Voisey und dessen Kandidatur verwickelt war, wusste aber nicht, ob aus eigenem Willen oder nicht. Ebenso unklar war ihm, ob er unter entsprechendem Druck am Tod Maude Lamonts beteiligt gewesen sein könnte.
    Er überlegte, ob er die gegen Serracold gerichteten Artikel ansprechen und ihm mitteilen sollte, dass die bei den Sitzungen anwesende Frau dessen Gattin war. Doch er sah nicht, was sich im Augenblick damit erreichen ließ. Außerdem konnte er
sich das mit dieser Mitteilung verbundene Überraschungsmoment möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt zunutze machen.
    So dankte er Kingsley und erhob sich, um zu gehen. Tellman tat es ihm gleich, unübersehbar mürrisch und

Weitere Kostenlose Bücher