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Feinde der Krone

Feinde der Krone

Titel: Feinde der Krone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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gewesen, sie bei einem Täuschungsmanöver zu ertappen«, sagte sie schließlich. »Immer hat er den Kopf hin und her bewegt, um ein möglichst großes Gesichtsfeld zu haben, damit ihm ja nichts entging. Er ließ nicht zu, dass seine Aufmerksamkeit auf etwas Bestimmtes gerichtet wurde.« Sie lächelte. »Aber er hat nie etwas entdeckt. Ich konnte spüren, dass er voller Emotionen war, weiß aber nicht, worum es dabei ging. Ich habe nur gelegentlich zu ihm hingesehen, weil mir natürlich viel wichtiger war, was Miss Lamont sagte und tat.«
    »Was gab es denn zu beobachten?«, fragte Pitt mit völlig ernster Miene.
    Sie schien nicht sicher, was sie antworten sollte, wusste vielleicht auch nicht, ob sie ihm trauen konnte. »Ihre Hände«, sagte sie langsam. »Wenn die Geister durch sie sprachen, sah sie völlig anders aus als sonst. Mitunter schien sie ihr Aussehen zu verändern, ihr Gesicht, die Haare. Auf ihren Zügen lag ein Lichtschein.« Mit herausforderndem Blick schien sie
zu warten, ob er über sie spotten würde, bereit, ihm jederzeit in die Parade zu fahren. Ihre Haltung war völlig starr, und die Knöchel ihrer Hände, mit denen sie den Rand des Sessels umklammerte, traten weiß hervor. »Aus ihrem Mund kam ein glühender Atem, und ihre Stimme war völlig anders als sonst.«
    Er spürte eine sonderbare Mischung von Empfindungen in sich aufsteigen: Furcht, eine Art Wunsch, ihr zu glauben, und das Bedürfnis zu lachen. Sie wirkte ausgesprochen menschlich und verletzlich, leicht durchschaubar und zugleich leicht zu verstehen.
    »Was wollte er von ihr, soweit Sie sich erinnern können?«, fragte er.
    »Sie sollte das Leben nach dem Tode beschreiben, sagen, was es dort zu sehen und zu tun gibt, wie es aussieht und sich anfühlt«, sagte sie. »Er fragte, ob bestimmte Menschen dort seien und wie es ihnen ergehe. Ob … ob sich seine Tante Georgina dort befinde. Allerdings kam es mir ganz so vor, als ob er sie mit dieser Frage hereinlegen wollte. Möglicherweise hatte er nicht einmal eine Tante dieses Namens.«
    »Und was hat sie ihm darauf geantwortet?«
    Sie lächelte. »Gar nichts.«
    »Wie hat er darauf reagiert?«
    »Das war ganz sonderbar.« Sie zuckte die Achseln. »Ich glaube, es hat ihn gefreut. Er hatte diese Frage im Anschluss an all die anderen gestellt, in denen es darum ging, wie es dort sei, was man dort tue, und vor allem, ob es irgendwelche Strafen gebe.«
    Pitt wusste nicht, was er denken sollte.
    »Und wie hat sie darauf geantwortet?«
    In ihren Augen blitzte Belustigung auf. »Sie hat ihm erklärt, was ihn betreffe, sei die Zeit für solche Fragen noch nicht gekommen. Ich hätte dasselbe gesagt, wenn ich der Geist gewesen wäre.«
    »Sie konnten ihn wohl nicht leiden?«, fragte er. Was sie über den Mann sagte, wirkte kritisch, voreingenommen und bissig, doch zugleich fanden sich darin eine Lebendigkeit und ein Humor, die ihn ansprachen.
    »Offen gestanden nein.« Sie blickte auf die üppige Seide ihres Rocks hinab. »Er hatte unübersehbar Angst. Aber das geht jedem so, der über Vorstellungskraft verfügt oder dem etwas am Herzen liegt.« Sie hob den Blick und sah ihn an. »Das darf niemandem als Grund oder Vorwand dienen, sich über die Bedürfnisse anderer Menschen lustig zu machen.« Ein Schatten legte sich auf ihre Züge, als bedaure sie es bereits, so offen mit ihm gesprochen zu haben. Sie erhob sich und wandte sich mit anmutiger Bewegung ab, wobei sie den Rücken Pitt halb und Tellman vollständig zukehrte. Beide sahen sich genötigt, ebenfalls aufzustehen.
    »Leider vermag ich Ihnen nicht zu sagen, wie er heißt oder wo Sie ihn finden können«, sagte sie ruhig. »Ich bereue inzwischen sehr, dass ich je dort hingegangen bin. Ich habe es für harmlos gehalten, wenn auch ein wenig gewagt, darin eine Möglichkeit gesehen, etwas zu erkunden. Ich glaube leidenschaftlich an die Gedankenfreiheit, Mister Pitt. Ich verachte jegliche Zensur und ebenso sehr jeden, der anderen das Recht auf Bildung vorenthält … und das gilt für alle Menschen!« In ihrer Stimme lag weder Tändelei noch Vorsicht; sie klang jetzt gänzlich anders als vorher. »Wenn es nach mir ginge, würde ich dafür sorgen, dass die Gesetze den Menschen völlige Religionsfreiheit gewähren. Wir müssen uns zivilisiert verhalten, die Sicherheit anderer ebenso achten wie das Eigentum, aber niemand darf dem Geist und dem Denken Fesseln anlegen.« Sie drehte sich rasch um und sah Pitt wieder an. In ihr Gesicht war die Farbe

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