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Feinde der Krone

Feinde der Krone

Titel: Feinde der Krone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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hätte eine gewisse Klarsichtigkeit die raschelnde Seide in den Hintergrund gedrängt, stellte er sie sich in einem gewöhnlichen Kleid vor, wie es seine Mutter oder Gracie trugen. Diese Frau war auf den Glauben an Maude Lamonts Fähigkeiten angewiesen. Sie suchte etwas, das sie mit Macht dort hingetrieben hatte, und jetzt, nach dem Tod des Mediums, war sie verloren. Hinter ihren leuchtenden blassblauen Augen lag Verzweiflung.
    Indem sie wieder das Wort ergriff, zerstörte sie das Bild, das vor ihm erstanden war. Er hörte ihre Oberschicht-Sprechweise, die auf ihn so affektiert wirkte, und erneut befanden sie sich in zwei scharf voneinander getrennten Welten.
    »Vielleicht habe ich es mir auch nur eingebildet«, sagte sie mit einem Lächeln. »Ich habe ja sein Gesicht kaum gesehen. Immerhin ist es denkbar, dass er Angst vor der Wahrheit hatte, nicht wahr?« Ihre Lippen verzogen sich zum Anflug eines Lächelns. Es sah aus, als hätte sie am liebsten gelacht und nur der Anlass des Gespräches hindere sie daran. »Er ist durch die Tür in der Gartenmauer gekommen und gegangen. Vielleicht handelt es sich um einen bedeutenden Mann, der ein schreckliches Verbrechen begangen hat und wissen möchte, ob ihn
der Tote verraten wird?« Ihre Stimme hob sich bei dieser Vermutung. »Darüber könnten Sie doch einmal nachdenken, Mister Pitt.« Sie sah ihn unbewegt an, ohne auf Tellman zu achten. Ihr Gesicht wirkte gelassen, fast herausfordernd.
    »Auch mir war dieser Gedanke schon gekommen, Mistress Serracold«, sagte Pitt ebenfalls mit ausdrucksloser Miene. »Aber es scheint mir interessant, dass auch Sie darauf verfallen sind. Gehörte Maude Lamont zu den Menschen, die ein solches Wissen für ihre eigenen Zwecke ausschlachten?«
    Ihre Lider zuckten, ihre Hals- und Kiefermuskeln spannten sich.
    Pitt wartete.
    »Ausschlachten?« Ihre Stimme klang ein wenig belegt. »Meinen Sie etwa durch eine … Erpressung?« Ihr Gesicht wirkte überrascht, vielleicht ein wenig zu sehr.
    Pitt lächelte leicht, nach wie vor höflich, als denke er sehr viel mehr, als er sagen konnte. »Man hat sie ermordet. Sie muss sich also mindestens einen Menschen so sehr zum Feind gemacht haben, dass er vor nichts zurückschreckte.«
    Das Blut wich ihr aus dem Gesicht. Es hätte Tellman nicht gewundert, wenn sie in Ohnmacht gefallen wäre. Jetzt war ihm endgültig klar, dass es um diese Frau ging. Ihre Anwesenheit bei der spiritistischen Sitzung war der Grund dafür, dass sich der Sicherheitsdienst mit dem Fall beschäftigte und ihn der Polizei und damit ihm aus den Händen genommen hatte. Hatte Pitt Gründe, die Frau für schuldig zu halten? Tellman sah zu ihm hin, doch trotz der vielen Jahre gemeinsamer Arbeit, in denen sie mit zahlreichen menschlichen Tragödien und Leidenschaften zu tun gehabt hatten, sah er sich außerstande, Pitts Empfindungen zu erahnen.
    Mrs. Serracold veränderte ihre Stellung. In der Stille des Raumes war sogar das leise Knirschen des Fischbeins und des Stoffs ihrer Korsage hörbar.
    »Ich gebe Ihnen Recht, dass das entsetzlich ist, Mister Pitt«, sagte sie ruhig. »Aber mir fällt nichts ein, was Ihnen weiterhelfen könnte. Ich weiß, dass sich einer der Männer große Sorgen um seinen Sohn machte und etwas über die Art erfahren wollte, wie dieser bei einer Schlacht irgendwo in Afrika ums
Leben gekommen ist.« Sie schluckte und hob das Kinn ein wenig, als drücke etwas sie am Hals, obwohl ihr Kleid nicht so hoch reichte. »Über den anderen Mann kann ich lediglich sagen, dass er mir den Eindruck erweckt hat, er sei lediglich gekommen, um über Miss Lamont zu spotten oder sie zu widerlegen. Ich weiß nicht, warum sich solche Leute die Mühe machen!« Ihre dünnen Augenbrauen hoben sich. »Warum lässt jemand, dem der Glaube abgeht, die Dinge nicht einfach ruhen und gestattet jenen, denen sie am Herzen liegen, in Frieden nach Wissen zu suchen? Dagegen lässt sich doch sicher nichts einwenden. Man muss schon ein ziemlicher Rüpel sein, um andere bei der Ausübung ihrer Riten zu stören. Es ist ein unnötiges Eindringen in deren Privatsphäre, überflüssige Grausamkeit.«
    »Können Sie näher beschreiben, was am Verhalten oder den Worten dieses Mannes Ihnen diesen Eindruck vermittelt hat?«, fragte Pitt und beugte sich ein wenig vor. »Bitte sagen Sie alles, woran Sie sich erinnern können.«
    Eine Weile schwieg sie, als müsse sie sich erst darüber klar werden, was sie sagen wollte. »Es kommt mir so vor, als wäre er darauf aus

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