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Feinde der Krone

Feinde der Krone

Titel: Feinde der Krone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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ist sie ein wenig überspannt, aber so war sie schon immer. Was für eine Rolle spielt das denn? Müssen unsere Politiker graue Mäuse sein, um etwas zu taugen?«
    Einen flüchtigen Augenblick lang trat Belustigung auf seine Züge. »Nicht unbedingt grau, aber auch nicht gerade grell. Nimm nichts als gegeben hin, und glaube nur nicht, dass sein Wahlsieg sicher ist. Diesmal können so viele Dinge das Wahlverhalten der Menschen beeinflussen. Gladstone pocht nach wie vor auf seine Forderung nach Selbstbestimmung für Irland,
doch vermutlich dürfte die Frage der täglichen Arbeitszeit in den Fabriken für die Wahl entscheidend sein.«
    »Die Tories werden doch sicher nichts in der Hinsicht unternehmen!« , begehrte sie auf. »Da haben die Leute doch eher von uns etwas zu erwarten! Sag ihnen das!«
    »Das habe ich bereits getan. Aber was die Tories in Bezug auf die irische Frage sagen, klingt plausibel, auf jeden Fall für die Arbeiterschaft im Londoner Hafen, von dessen Lagerhäusern aus die Welt mit Waren beliefert wird.« Sein Gesicht verfinsterte sich. »Ich habe gehört, was Voisey sagt, und die Menschen hängen an seinen Lippen. Er ist zur Zeit sehr beliebt. Vergiss nicht, dass ihn die Königin wegen seines Mutes und seiner der Krone bewiesenen Treue in den Adelsstand erhoben hat. Niemand weiß genau, was er getan hat, aber es heißt, dass er den Thron vor einer durchaus ernsten Gefährdung bewahrt hat. Er hat die halbe Zuhörerschaft schon auf seiner Seite, bevor er den Mund auftut.«
    »Ich hatte angenommen, die Königin ist bei der breiten Masse nicht besonders beliebt«, sagte sie zweifelnd und dachte an einige der hässlichen Bemerkungen, die sie sogar in gehobeneren Gesellschaftskreisen gehört hatte. Zu lange hatte sich Königin Viktoria vom öffentlichen Leben fern gehalten, weil sie nach wie vor den Tod ihres Gatten Albert betrauerte, der bereits dreißig Jahre zurücklag. Sie hielt sich vorwiegend auf ihrem Lieblingswohnsitz Osbourne House auf der Insel Wight oder im Schloss Balmoral im schottischen Hochland auf. Die Menschen im Lande bekamen sie kaum je zu sehen. Es gab keinerlei feierliche Anlässe, für die man sich begeistern konnte, keinerlei Prunkentfaltung, kein Gefühl der Zusammengehörigkeit, das ausschließlich die Königin im Volk hätte hervorrufen können.
    »Trotzdem wollen wir nicht, dass man sie uns nimmt«, sagte Jack. »Wir haben als Masse genauso verdrehte Vorstellungen wie als Einzelne.« Er faltete die Zeitung zusammen, legte sie auf den Tisch und stand auf. »Aber natürlich werde ich Serracold unterstützen.« Er beugte sich vor und küsste sie flüchtig auf die Stirn. »Ich weiß nicht, wann ich zurückkomme. Wahrscheinlich zum Abendessen.«
    Sie sah ihm nach, während er den Raum verließ, goss sich dann noch eine Tasse Tee ein und schlug die Zeitung wieder auf. Erst da stieß sie auf den Bericht über Maude Lamonts Tod, in dem es hieß, die Polizei habe nicht den geringsten Zweifel daran, dass es sich um Mord handelte. Die Ermittlungen würden von der Wache in der Bow Street geführt, offenbar durch Inspektor Tellman. Ihm waren keine Erklärungen zu entlocken gewesen, doch die Journalisten spekulierten und erfanden, was sie nicht wussten. Wer waren die Besucher dieser Frau gewesen? Wer war an jenem Abend dort gewesen? Wen hatte sie aus der Vergangenheit herbeigerufen, und was von dem, was ihr die Geister dieser Menschen gesagt hatten, war der Anlass für den Mord gewesen? Was für entsetzliche Geheimnisse waren das, die einen Menschen dazu brachten zu töten, um sie zu verbergen? Augenscheinlich fanden die Presseleute die Mischung aus Skandal und Gewalttätigkeit unwiderstehlich.
    Sie las den Bericht noch einmal, doch hätte sie sich das sparen können, denn sie hatte sich jedes Wort und jede der widerlichen Mutmaßungen gemerkt. Ihr fiel ein, dass Rose Serracold einmal gesagt hatte, sie sei bei Maude Lamont gewesen. Was Emily auf den ersten Blick einfach erschienen war, begann sich jetzt zu verkomplizieren. Sorge um Rose beschlich sie. Sie musste daran denken, wie verletzlich die Freundin war, und empfand Furcht um sie wegen der Dinge, die ihr und Aubrey, wenn nicht gar Jack, drohen mochten. Es war Zeit, dass sie etwas unternahm.
    Sie ging nach oben ins Kinderzimmer, um den Vormittag mit der kleinen Evangeline zu verbringen, die wie immer vor Fragen übersprudelte. Ihr Lieblingswort war warum .
    »Wo ist Edward?« Mit ernstem Gesicht saß ihr Töchterchen auf dem Fußboden.

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