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Feinde der Krone

Feinde der Krone

Titel: Feinde der Krone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Freundin, und ich habe die Dinge nur erfahren, weil sie mir vertraut. Wenn ich eine Freundin verrate, was habe ich dann noch?«
    Diesmal gab Vespasia nicht sogleich eine Antwort.
    Emily wartete.
    »Wenn du dich zwischen Freunden entscheiden musst«, sagte Vespasia schließlich, »und das sind für dich sowohl Rose als auch Thomas, darfst du dabei nicht die Personen im Auge haben, sondern musst deinem Gewissen folgen. Du kannst die Freundestreue, die du ihnen schuldest, nicht gegeneinander aufwiegen, darfst nicht überlegen, wer von beiden dir näher steht, mehr leiden würde und verletzlicher ist oder dir mehr vertraut. Du musst ausschließlich tun, was dir dein Gewissen rät. Diene deiner eigenen Wahrheit.«
    Zwar hatte sie mit keinem Wort gesagt, dass sie Thomas alles berichten sollte, was sie wusste, doch zweifelte Emily nicht daran, dass genau das gemeint war.
    »Ja«, sagte sie. »Vielleicht war mir das auch schon vorher bewusst, und es ist mir nur schwer gefallen, mir darüber klar zu werden, weil ich es dann tun muss.«
    »Glaubst du, dass Rose diese Frau getötet haben könnte?«
    »Ich weiß nicht. Vermutlich traue ich ihr das zu.«
    Beide schwiegen längere Zeit und wandten sich dann anderen Themen zu: Jacks Wahlkampf, der Vorstellung von Mr. Gladstone und Lord Salisbury, dem erstaunlichen Phänomen Keir Hardie und der Möglichkeit, dass er eines Tages tatsächlich ins Unterhaus einziehen könnte. Nach einer Weile dankte Emily Vespasia erneut und verabschiedete sich mit einem flüchtigen Kuss auf die Wange.
    Zu Hause angekommen, ging sie nach oben, um sich zum Abendessen umzukleiden, obwohl sie es im Hause einnehmen würde. Sie saß im Salon, als Jack hereinkam. Sein Gesicht wirkte müde, und seine Hosenbeine waren am unteren Ende staubig, als sei er eine ziemlich lange Strecke zu Fuß gegangen.
    Mit ungewohnter Eile erhob sie sich, um ihn zu begrüßen, als brächte er Neuigkeiten, während sie in Wahrheit nichts weiter erwartete als die üblichen Mitteilungen über den Wahlkampf, von denen sie die meisten der Tageszeitung hätte entnehmen können, wenn es ihr wichtig genug erschienen wäre.
    »Wie geht es voran?«, fragte sie und suchte seinen Blick. In seinen großen grauen Augen mit den bemerkenswerten Wimpern, die sie schon immer bewundert hatte, erkannte sie, dass er sich freute, sie zu sehen. In ihnen lag eine wohlvertraute Wärme des Empfindens, die ihr so viel bedeutete, dass es sie immer noch verblüffte. Doch dahinter erkannte sie eine Besorgnis, die tiefer reichte als zuvor. Rasch fragte sie: »Was war los?«
    Er zögerte mit der Antwort. Die Worte, die ihm sonst so leicht zu Gebote standen, kamen nur langsam. Allein das schon weckte in ihr allerlei Befürchtungen.
    »Aubrey?«, flüsterte sie, während sie an Vespasias Worte
dachte. »Er könnte den Wahlkampf verlieren, nicht wahr? Würde dir das viel ausmachen?«
    Er lächelte, aber sie merkte, dass er es mit der Absicht tat, sie zu beruhigen. »Ich kann ihn gut leiden«, sagte er aufrichtig, setzte sich in den Sessel ihr gegenüber und streckte entspannt die Beine aus. »Ich denke, wenn er den Kopf nicht ganz so hoch in den Wolken hätte, wäre er ein guter Abgeordneter. Ein paar Träumer können wir ganz gut brauchen.« Er zuckte die Achseln. »Es wäre ein gewisser Ausgleich für die Leute, die nur wegen der damit verbundenen persönlichen Vorteile ins Unterhaus wollen.«
    Sie merkte, dass Jack ihr nicht zeigte, wie sehr es ihn schmerzen würde, wenn Aubrey sein Ziel nicht erreichte. Er hatte ihn nicht nur von Anfang an ermutigt, sondern ihm den Weg zur Nominierung geebnet und ihn anschließend unterstützt. Es hatte beiläufig ausgesehen, wie so vieles, was er tat, denn er verstand es, sich den Anschein eines Mannes zu geben, der die Dinge nicht besonders schwer nahm und dem nichts wichtiger schien als ein behagliches Leben, gutes Essen, guter Wein, die Gesellschaft von Freunden und der nichts mehr verabscheute als übertriebene Ernsthaftigkeit und erkennbares Bemühen. Er war stets ein großer Bewunderer von Schönheit gewesen, und so war ihm das Flirten so selbstverständlich wie das Atemholen. Sich durch die Eheschließung endgültig auf eine Frau festzulegen, die sich selbst und ihm stets treu sein und nie die Augen vor den unangenehmen Dingen des Daseins verschließen würde, war die schwierigste Entscheidung seines Lebens gewesen, doch war ihm zuweilen durchaus bewusst, dass er nie eine bessere getroffen hatte.
    Emily hatte stets

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