Feinde der Krone
sorgfältig vermieden, ihm klarzumachen, dass sie eine Meisterin der Fähigkeit war, nur das zu sehen, was die Klugheit gebot. Bei ihrem ersten Mann, George Ashworth, hatte sie sich blind gestellt, und wenn sie den Eindruck gehabt hatte, er habe sie betrogen, nicht einfach auf körperlicher Ebene, sondern mit einer wirklichen Liebesbeziehung, war sie davon tiefer verletzt worden, als sie angesichts ihrer Weltläufigkeit für möglich gehalten hatte. Sie dachte nicht im Traum daran zuzulassen, dass Jack zu der Ansicht gelangte, er
könne es ebenso halten. Sie wusste, dass er innerlich ebenso stark und zielgerichtet war wie Pitt und dass er sich nur deshalb so oberflächlich gab, weil er fürchtete, seinen eigenen Ansprüchen nicht gerecht zu werden. In diesem Augenblick begriff sie schmerzlich, dass sie alles tun würde, um ihn vor einem Fehlschlag zu bewahren.
»Rose war an dem Abend im Haus der Spiritistin, an dem sie umgebracht wurde«, begann sie vorsichtig. »Thomas war bei ihr, um sie zu befragen. Sie ist vor Entsetzen wie von Sinnen, Jack.«
Sein Gesicht verfinsterte sich. Diesmal gelang es ihm nicht zu verbergen, dass sich alles in ihm verkrampfte. Er richtete sich im Sessel auf, seine entspannte Haltung war wie weggeblasen. »Wieso Thomas? Er ist doch gar nicht mehr in der Bow Street.«
Diese Reaktion hatte sie nicht erwartet, wohl aber gefürchtet. Alles Übrige würde später kommen, die Fragen, die Vorwürfe wegen Ichsucht und Gedankenlosigkeit.
»Emily?« Seine Stimme klang schärfer. In ihr lag die Besorgnis, sie wisse etwas, was sie ihm nicht sagte, und dies eine Mal verhielt es sich tatsächlich so.
»Ich weiß nicht!«, sagte sie und sah ihn offen an. »Charlotte hat mir nichts gesagt. Vermutlich hat die Sache mit Politik zu tun, sonst wäre Thomas wohl nicht damit befasst.«
Jack bedeckte sein Gesicht mit den Händen und fuhr sich dann durch die Haare. Langsam schloss und öffnete er die Augen.
Emily wartete mit zugeschnürter Kehle. Rose hatte ihr etwas verschwiegen. War es etwas, was Aubrey und durch ihn Jack schaden konnte? Sie sah ihn an und fürchtete sich, den Punkt anzusprechen.
Er wirkte blasser und noch müder als zuvor. Es war, als wäre die Blüte seiner Jugend mit einem Schlag dahingeschwunden, und sie sah ihn unvermittelt so vor sich, wie er in zehn oder gar zwanzig Jahren aussehen könnte.
Er stand auf, wandte sich ab und trat einen oder zwei Schritte auf das Fenster zu. »Davenport hat mir heute geraten, in meinem eigenen Interesse ein wenig Abstand zu Aubrey zu wahren«, sagte er leise.
Die Stille verdichtete sich. Draußen lag goldenes Abendlicht auf den Bäumen. »Und was hast du gesagt?«, fragte sie. Ihr war klar, dass er es ihr mit seiner Antwort auf keinen Fall würde recht machen können. Falls er dieses Ansinnen von sich gewiesen hatte, würde man seinen Namen auch künftig mit Aubrey Serracold und natürlich auch mit Rose in Verbindung bringen. Sofern Aubrey, wonach es im Augenblick aussah, nicht von seiner extremen Position abrückte, sondern seine idealistischen und weltfremden Vorstellungen immer unverhohlener vortrug, würde sich sein Gegenspieler das zunutze machen und ihn als Extremisten hinstellen, der günstigstenfalls zu nichts taugte und im schlimmsten Fall eine Gefahr bedeutete. Von Jack würde man dann annehmen, dass er um kein Haar besser sei, man würde ihm ähnliche Grundsätze und Ansichten unterstellen, ohne das zu sagen, so dass er sich dagegen nicht zur Wehr setzen konnte – und das Ergebnis wäre eine Katastrophe.
Falls Rose auf irgendeine Weise mit dem Tod des Mediums zu tun hatte, würde auch das ihrem Mann und damit möglicherweise Jack schaden, ganz gleich, wie die Wahrheit aussah. Die Öffentlichkeit würde sich ausschließlich daran erinnern, dass sie in den Fall verwickelt war.
Was aber würde Emily von Jack halten, wenn er Davenports Rat bereits befolgt und Aubrey sich selbst überlassen hatte, um die eigene Haut zu retten? War nicht der Verrat an einem Freund ein zu hoher Preis für die eigene Sicherheit? Das galt wohl auch auf der Ebene der Politik, denn auf wen konnte sich jemand, der seine Freunde ohne weiteres ihrem Schicksal überließ, verlassen, wenn er selbst Hilfe brauchte? Und früher oder später war jeder auf Hilfe angewiesen.
Sie sah auf Jacks breite Schultern, das makellos geschneiderte Jackett, den ihr so vertrauten Hinterkopf, auf dem sie jede Locke bis in den Nacken hinab kannte, und merkte, wie wenig sie von seinen
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