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Feinde der Krone

Feinde der Krone

Titel: Feinde der Krone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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unterlassen, ihm etwas davon zu sagen.
    Sie fügte hinzu, Rose habe auf ihre Vorhaltungen hin einen solchen Wutausbruch bekommen, dass ihre Freundschaft darunter gelitten habe.
    Als sie fertig war, sah sie ihn schuldbewusst an.
    »Danke«, sagte er ruhig.
    »Thomas …«, setzte sie an.
    »Nein«, entgegnete er, bevor sie fortfahren konnte. »Ich weiß nicht, ob sie die Frau umgebracht hat oder nicht, aber auf keinen Fall kann ich Fünfe gerade sein lassen, ganz gleich, wer darunter leiden muss. Ich kann lediglich versprechen, dass ich niemanden unnötig quälen werde, und ich hoffe, dass dir das ohnehin klar war.«
    »Ja.« Sie nickte. Ihr Gesicht war bleich. »Natürlich habe ich das gewusst.« Sie holte Luft, als wolle sie noch etwas sagen, überlegte es sich dann aber offenbar anders und bot ihm Tee an. So gern er die Einladung angenommen hätte, denn er war müde und durstig und auch hungrig, wenn er es recht bedachte, lehnte er dankend ab. Er fühlte sich in ihrer Gegenwart unbehaglich, denn sie kannten einer des anderen Empfindungen. Er dankte ihr erneut und verabschiedete sich.
     
     
    Am Abend rief Pitt Jacks Sekretärin an, um zu erfahren, wo Jack sprechen würde. Sobald er den Ort wusste, machte er sich auf den Weg dorthin. Er wollte ihm zuhören und dabei feststellen, wie die Stimmung im Publikum war. Vielleicht ließen sich daraus Schlüsse auf das ziehen, worauf sich Aubrey Serracold einstellen musste. Hinzu kam, wie er sich eingestand, dass er sich auch um Jack Sorgen machte. Bei dieser Wahl würde es sehr viel knapper zugehen als bei der vorigen, und so mancher liberale Abgeordnete konnte seinen Sitz einbüßen.
    Als er eintraf, waren bereits hundert oder zweihundert Personen versammelt, meist Arbeiter aus den nahe gelegenen Fabriken, aber auch eine ganze Anzahl Frauen in tristen Röcken und Blusen, die als Ergebnis harter Arbeit von Schweiß und Schmutz starrten. Manche waren erst vierzehn oder fünfzehn Jahre alt, bei anderen war die Haut so schlaff und dünn, waren die Leiber so unförmig, dass man ihr Alter nur schwer
hätte schätzen können. Sie konnten ohne weiteres sechzig sein – und danach sahen sie aus –, doch war es Pitt klar, dass sie höchstwahrscheinlich nicht einmal vierzig waren und ihr schlechter Zustand auf Erschöpfung und Mangelernährung zurückging. Viele hatte auch die große Zahl an Geburten ausgelaugt, und sie hatten sich in der Fürsorge für ihre Kinder und Männer aufgerieben.
    Leise hörte man ungeduldige Unmutsäußerungen, dann ertönten Buhrufe. Weitere Zuhörer kamen herein. Ein halbes Dutzend Leute ging laut murrend.
    Pitt trat von einem Fuß auf den anderen. Er bemühte sich mitzuhören, worüber sich die Menschen unterhielten. Was dachten sie, was wollten sie? Gab es etwas, was ihre Wahlentscheidung beeinflussen konnte? Jack hatte in seinem Wahlkreis gute Arbeit geleistet, aber war ihnen das klar? Seine Mehrheit war nicht übermäßig groß. Im Falle eines allgemeinen Wahlerfolgs der Liberalen hätte er sich keine großen Sorgen zu machen brauchen, aber selbst Gladstone wollte offenbar diese Wahl nur halbherzig gewinnen. Er führte den Kampf aus innerer Leidenschaft, politischem Instinkt und weil er immer gekämpft hatte, aber die Schärfe seines analytischen Verstandes stand nicht dahinter.
    Mit einem Mal entstand Unruhe, und Pitt hob den Blick. Jack war eingetroffen und bahnte sich seinen Weg durch die Menge. Hier und da schüttelte er Männern und Frauen die Hand und sogar einem oder zwei Kindern. Dann stieg er auf die Ladefläche eines Fuhrwerks, das man als Behelfspodium hereingebracht hatte, und begann seine Rede.
    Kaum hatte er die ersten Worte gesagt, als schon Zwischenrufe ertönten. Ein Mann mit Stirnglatze in einem braunen Mantel fuchtelte mit dem Arm durch die Luft und wollte wissen, wie viele Stunden am Tag er arbeite. Brüllendes Gelächter quittierte das, weitere Buhrufe waren zu hören.
    »Nun, wenn ich meinen Unterhaussitz nicht behalte, bin ich arbeitslos!«, rief ihm Jack zu. »In dem Fall müsste die Antwort lauten: ›keine‹!«
    Damit hatte er die Lacher auf seine Seite gebracht, und niemand johlte gegen ihn. Gleich darauf kam er auf die Frage der
Arbeitszeit zu sprechen. Die Stimmen wurden heftiger, und der Ärger der Leute äußerte sich in immer hässlicherer Weise. Jemand warf einen Stein, verfehlte Jack aber um mehrere Meter, so dass das Geschoss gegen die Wand des Lagerhauses prallte und davonrollte.
    Ein Blick in Jacks gut

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