Feinde der Krone
Kingsley?«
Jack war verwirrt. »Kingsley? Meinst du den Burschen, der in der Zeitung den Schmähbrief gegen Aubrey geschrieben hat?«
»Mehrere«, verbesserte ihn Pitt. »Ja. Hegt der irgendeinen privaten Groll gegen Serracold?«
»Nicht dass Aubrey wüsste, es sei denn, auch er verbirgt etwas. Ich würde aber schwören, dass das nicht der Fall ist. Er ist ziemlich leicht zu durchschauen. Die Sache hat ihn ganz schön mitgenommen, denn er ist an persönliche Anwürfe nicht gewöhnt.«
»Könnte Rose den Mann kennen?«
Sie befanden sich jetzt auf einem schmalen Gehweg, der an der Mauer eines Lagerhauses entlangführte. Die einzige Straßenlaterne beleuchtete das Straßenpflaster und den ausgetrockneten Rinnstein einige Meter weit.
Erneut blieb Jack stehen, die Stirn gerunzelt und die Augen zusammengekniffen. »Vermutlich soll das eine schönfärberische Umschreibung für ›haben sie ein Verhältnis‹ sein?«
»Ich meine es ganz allgemein«, sagte Pitt eindringlich. »Jack, ich muss wissen, wer Maude Lamont umgebracht hat. Am allerbesten wäre es, wenn ich zweifelsfrei nachweisen könnte, dass Rose auf keinen Fall die Täterin war. Der Spott wegen ihrer Teilnahme an spiritistischen Sitzungen wäre nichts im Vergleich mit dem, wozu Voisey die Zeitungen veranlassen würde, falls irgendein Geheimnis an den Tag käme, das den Schluss zulässt, sie könnte den Mord begangen haben, um etwas zu verdecken.«
Im Schein der Laterne sah Pitt, wie Jack zusammenzuckte. Er schien dabei förmlich kleiner zu werden. Er ließ die Schultern hängen, und die Farbe wich vollständig aus seinem Gesicht.
»Das ist eine ganz widerwärtige Geschichte, Thomas«, sagte er. »Je mehr ich darüber erfahre, desto weniger verstehe ich sie. Und solchen Menschen kann ich fast gar nichts erklären.« Er wies mit der Hand hinter sich zum Hafengebiet.
Pitt bat ihn nicht um eine nähere Erläuterung; ihm war klar, dass Jack sie von sich aus liefern würde.
»Ich hatte immer angenommen, dass es bei einer Wahl darum geht, wer die besseren Argumente hat«, fuhr er fort und begann wieder auszuschreiten. In der immer dunkler werdenden Dämmerung schimmerte vor ihnen einladend das Licht des Gasthauses ›Ziege und Zirkel‹. »In Wahrheit geht es aber um nichts als Emotionen«, fuhr er fort, »Empfindungen, keine Gedanken. Ich weiß nicht einmal, ob ich möchte, dass wir gewinnen … als Partei, meine ich. Natürlich wünsche ich Macht! Ohne sie lässt sich nichts bewirken, wir könnten ebensogut einpacken und der Opposition das Feld überlassen.« Er warf Pitt einen raschen Blick zu. »Unser Land hat als erstes auf der Welt eine Industrialisierung erlebt. Jahr für Jahr erzeugen wir Waren im Wert von Millionen Pfund, und dem damit verdienten Geld verdankt der größte Teil unserer Bevölkerung seinen Lebensunterhalt.«
Sie traten in das Gasthaus, fanden einen freien Tisch, und sogleich ließ sich Jack auf einen Stuhl sinken. Pitt holte an der Theke seinen üblichen Krug Apfelwein und kehrte mit ihm und dem großen Bier, das Jack haben wollte, zurück.
Nachdem er einen kräftigen Schluck genommen hatte, fuhr Jack fort: »Immer mehr Güter werden auf diese Weise hergestellt. Wenn wir überleben wollen, müssen wir sie an jemanden verkaufen!«
Mit einem Mal verstand Pitt, worauf Jack hinauswollte. »Das Weltreich«, sagte er leise. »Sind wir wieder bei der Frage der Selbstbestimmung für Irland angekommen?«
»Nur dass es dabei um weit mehr geht«, gab Jack zurück. »Nämlich um die Frage, ob es moralisch gerechtfertigt ist, überhaupt ein solches Weltreich zu haben.«
»Ist es für die Frage nicht ein bisschen spät?«, erkundigte sich Pitt trocken.
»Mehrere Jahrhunderte. Aber wie schon gesagt, es geht nicht um nüchterne Gedanken. Für den Fall, dass wir uns jetzt des Weltreichs entledigten, wem können wir dann all unsere Waren verkaufen? Frankreich, Deutschland und die übrigen europäischen Länder, ganz zu schweigen von Amerika, stellen inzwischen selbst Waren im industriellen Maßstab her.« Er biss sich auf die Lippe. »Die Zahl der Güter nimmt zu, und die Märkte werden kleiner. Unser Weltreich zurückzugeben ist eine großartige Vorstellung, geradezu ein Ideal, aber wenn wir unsere Märkte einbüßen, müssen ungezählte Bewohner unseres Landes verhungern. Wenn aber die Wirtschaft des Landes zugrunde gerichtet ist, vermag niemand mehr, ihnen zu helfen, da nutzen die besten Absichten nichts.« Jemandem entglitt ein Glas und
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