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Feinde der Krone

Feinde der Krone

Titel: Feinde der Krone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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widersprechen, die er im Gespräch vertritt.«
    »Ach ja?« Narraway sah ihn scharf und unverwandt an. »Und was haben Sie gefunden?«
    »Lediglich seine Personalakte beim Heer«, sagte Pitt vorsichtig. »Außerdem habe ich gesehen, dass sein Sohn bei einem Gefecht in Afrika in eben dem Zulu-Krieg ums Leben gekommen ist, in dem er sich ganz besonders hervorgetan hat. Es sieht so aus, als hätte er sich bis jetzt nicht von diesem Verlust erholt.«
    »Es war sein einziger Sohn«, sagte Narraway. »Genauer gesagt, sein einziges Kind. Seine Frau ist ziemlich jung gestorben.«
    Aufmerksam betrachtete Pitt Narraways Gesicht und versuchte, dessen Gefühle hinter den ausdruckslos vorgetragenen Fakten zu erkennen. Er fand nichts, worauf er sich mit Sicherheit
hätte stützen können. Hatte Narraway so oft mit dem Tod und dem Kummer anderer Menschen zu tun, dass ihn dergleichen nicht mehr beeindruckte? Oder konnte er es sich nicht leisten, Empfindungen zu zeigen, für den Fall, dass sie sein Urteil beeinträchtigten, das er im Interesse aller fällen musste und nicht nur solcher Menschen, an denen ihm lag? So gründlich er in Narraways klugem, von vielen Linien durchzogenen Gesicht zu lesen versuchte, er erfuhr nichts. Er sah Leidenschaft darin, aber war das die Leidenschaft des Herzens oder lediglich die des kühlen Verstandes?
    »Wie ist er ums Leben gekommen?«, wollte Pitt wissen.
    Narraway hob die Brauen; offenbar überraschte es ihn, dass Pitt danach fragte. »Er gehörte zu den dreien, die bei dem Spähtrupp-Unternehmen am Fluss mit dem Namen weißer Mfolozi gefallen sind. Sie sind geradenwegs in einen gut getarnten Hinterhalt der Zulu gelaufen.«
    »Das habe ich in den Unterlagen gesehen. Aber warum geht Kingsley der Sache mit Hilfe eines Mediums wie Maude Lamont nach?«, fuhr Pitt fort. »Und wieso jetzt? Die Sache am Mfolozi liegt dreizehn Jahre zurück.«
    In Narraways Augen flammte Zorn auf, dann Qual. »Wenn Sie einen Angehörigen verloren hätten, Pitt, würden Sie wissen, dass der Kummer nicht einfach verschwindet. Die Menschen lernen zwar, damit zu leben und ihn meist zu verbergen, aber man weiß nie, was ihn wieder weckt, und mit einem Mal lässt er sich eine gewisse Zeit lang nicht beherrschen.« Er sprach nun sehr leise. »Ich habe das schon oft mit angesehen. Wer weiß, was in diesem Fall der Auslöser dafür war – vielleicht der Anblick eines jungen Mannes, dessen Gesicht ihn an seinen Sohn erinnert hat? Ein Mann, der im Unterschied zu ihm Enkel hat? Eine Melodie aus früheren Zeiten … es kann alles Mögliche gewesen sein. Die Toten verschwinden nicht, sie verstummen lediglich für eine Weile.«
    Pitt merkte, dass in dem Raum mit einem Mal eine sonderbar persönliche Atmosphäre herrschte. Diese Worte hatten nichts mit praktischen Alltagserwägungen zu tun; sie gingen auf die Leidenschaft des Augenblicks zurück. Aber der Schatten in Narraways Augen und seine fest zusammengepressten
Lippen zeigten Pitt, dass es nicht tunlich war, der Sache weiter nachzugehen.
    Er tat so, als hätte er nichts gemerkt. »Besteht irgendeine Beziehung zwischen Kingsley und Charles Voisey?«, fragte er stattdessen.
    Mit einem Mal weiteten sich Narraways dunkle Augen. »Großer Gott, Pitt, glauben Sie nicht, dass ich Ihnen das sagen würde, wenn ich es wüsste?«
    »Vielleicht wollten Sie, dass ich es selbst herausbekomme …«
    Narraway ruckte vor, die Muskeln seines Körpers waren angespannt. »Für Spiele haben wir keine Zeit!«, stieß er zwischen den Zähnen hervor. »Ich kann es mir nicht leisten, mir auch nur den geringsten Gedanken darüber zu machen, was Sie von mir halten! Wenn Charles Voisey ins Unterhaus kommt, kann nichts ihn aufhalten, bis er die Macht in Händen hat, das höchste Amt im Lande zu korrumpieren. Er steht nach wie vor an der Spitze des Inneren Kreises.« Ein Schatten legte sich auf seine Züge. »Jedenfalls vermute ich das. Es gibt noch eine andere Macht, die dahinter steht, noch aber weiß ich nicht, um wen es sich dabei handelt.«
    Er hob die Hand. Zwischen Zeigefinger und Daumen lagen gute zwei Zentimeter. »So wenig hat gefehlt, und er hätte gewonnen gehabt! Das war unser Werk, Pitt! Und das wird er uns nie vergessen. Aber zur Strecke gebracht haben wir ihn nicht. Er setzt neue Stellvertreter ein, und ich habe nicht die geringste Vorstellung, wer das sein könnte. Diese Krankheit frisst die Regierung des Landes von innen her auf, ganz gleich, welche Partei in Westminster sitzt. Ohne Macht

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