Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Feinde der Zeit: Roman (German Edition)

Feinde der Zeit: Roman (German Edition)

Titel: Feinde der Zeit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Cross
Vom Netzwerk:
stöhnend.
    Doch als ich sie wütend anschaute, bekam sie immerhin ein schlechtes Gewissen. »Tut mir leid, ich bin sicher, es hat dir das Herz gebrochen, aber wie irre ist das denn, dass du dir denselben Tag aussuchst?«
    Ich blies die Luft heraus, die ich schon wer weiß wie lange angehalten hatte. »Keine Ahnung, wie ›irre‹ das ist.«
    Sie kniff die Augen zusammen und sah mich geschäftsmäßiger und ernster an. »Du wirst es Kendrick sagen müssen. Bei unserem Turteltäubchen würde es mich nicht wundern, wenn sie sich gleich noch was Neues ausdenkt, um dich und Blondie zu verkuppeln. Was auch immer der Grund war, warum du aus dem Leben dieses Mädchens verschwinden musstest, es wird zu wichtig gewesen sein, als dass du dir die ganze Aktion durch noch so einen Fünfzigtausend-Dollar-Tanz vermasseln lassen solltest.«
    »O Mann«, murmelte ich leise. »War das wirklich erst gestern Abend? Vor noch nicht mal vierundzwanzig Stunden?«
    Die bloße Erwähnung des gestrigen Abends reichte aus, um Stewarts Miene zu verfinstern. Mir fiel wieder ein, wie zornig sie gewesen war und dass sie rausgestürmt war und niemand mehr etwas von ihr gehört hatte. »Sag mal, wo warst du eigentlich die ganze Nacht?«
    Ich stand auf, und sie stellte sich vor mich. Dann klappte sie mit großer Geste Hollys Tagebuch zu und legte es in meine Hände. »Hier, das solltest du aufheben.«
    Ich legte es auf die Küchenarbeitsfläche und trat etwas dichter an Stewart heran. »Komm schon, erzähl, wo du gewesen bist. Ich möchte dich ja nicht beleidigen, aber du siehst furchtbar aus.«
    Sie näherte sich mir so schnell, dass ich fast sicher war, sie würde mich angreifen. Aber dann küsste sie mich, wie sie es schon vor einigen Tagen getan hatte, nur fordernder. Ich ließ sie ungefähr zehn Sekunden gewähren und versuchte dabei zu begreifen, was los war. Es war offensichtlich, dass sie auf Ablenkung aus war, wie beim letzten Mal. Ich legte meine Hände auf ihre Schultern und schob sie sanft von mir weg.
    »Das ist keine gute Idee.«
    Ihre Hände glitten in die vordere Tasche meiner Shorts. »Ich finde, das ist eine großartige Idee.«
    Ich schüttelte sofort den Kopf. »Stewart, ich weiß, was du versuchst. Ich hab auch gesehen, wie es passiert ist. Und jedes Mal, wenn ich heute Nacht versucht habe, die Augen zuzumachen, hab ich es wieder vor mir gesehen, ihn vor mir gesehen.«
    »Stopp! Red nicht weiter.« Sie wollte sich loswinden, doch ich hielt sie fest.
    »Ich lasse dich nicht wieder weglaufen. Sieh dich an, du hast dich noch immer nicht umgezogen und … und …«
    »Und ich trage ihn mit mir rum, nicht wahr? Er wurde in tausend Stücke gerissen, und ich lasse ihn einfach hier kleben, überall an meinem Körper.« Ihre Stimme bebte, und eine einzelne Träne lief über ihre Wange und hinterließ eine helle Spur in ihrem schmutzigen Gesicht.
    Schockiert starrte ich in ihr Gesicht. Ich hasste es, mit der Trauer anderer Menschen konfrontiert zu werden. Aber es war beinahe einfacher, diesen Moment mit Stewart durchzustehen als mit irgendwem sonst, weil sie nicht erwartete, dass ich etwas Kluges oder Brillantes sagte. Sie würde gar nicht wollen, dass ich sagte, es täte mir leid und alles würde wieder gut; diesen ganzen Teil konnten wir also überspringen.
    Ich nahm sie in den Arm und hielt sie ganz fest, bevor sie erneut davonlaufen konnte. Sie drückte ihr Gesicht an meine Schulter, und ich spürte, dass sie am ganzen Körper zitterte. Erst hatte sie sich losreißen wollen, jetzt klammerte sie sich an mir fest wie an einer Rettungsleine. »Wenn du das irgendwem erzählst, bringe ich dich um«, sagte sie nach ein paar Minuten.
    »Nein, tu ich nicht«, versprach ich. »Schon vergessen.«
    Sie ließ mich los, setzte sich aufs Sofa, legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen. »Ich wünschte, ich wäre dumm wie Brot. Dann könnte ich nämlich glauben, dass auf diejenigen, die sterben, schöne Dinge warten.«
    Treffender und wahrer konnte man es wohl nicht formulieren. Das war der Grund, weshalb ich den Tod nicht ausstehen konnte. Ich wurde einfach nie den Gedanken an diese kalten, reglosen Leichen los, die in Särgen eingeschlossen allein unter der Erde lagen. Warum konnte mir nicht irgendein religiöser Kult eine Gehirnwäsche verpasst und mir ein Glaubenssystem aufgezwängt haben, das mir ein glückliches Leben nach dem Tod versprach?
    »Ich weiß genau, was du meinst. Im Augenblick wäre mir eine kräftige Dosis blinden Glaubens

Weitere Kostenlose Bücher