Feinde der Zeit: Roman (German Edition)
eines großen Puzzles sind, das wir nur richtig zusammensetzen müssen, um alles zu begreifen.« Ich legte unwillkürlich meinen Arm um ihre Taille und lachte leise in mich hinein, als mir bewusst wurde, was ich da tat. »Kuscheln wir uns etwa gerade aneinander? Dabei dachte ich eigentlich, ich müsste entweder schwer verletzt oder aber nackt sein, damit du mir noch mal so nah kommst.«
»Das ist ein seltener Moment der Schwäche. Oder Mitleid. Mehr nicht.« Sie entspannte ihre Muskeln und atmete tief aus. »Du tust ja geradezu so, als würde ich andere nur berühren, wenn ich sie misshandeln oder verführen will.«
»Hast du, während du auf dem College warst, etwa auch mal Frauen gespielt, die ausgeglichen und liebevoll waren?«, scherzte ich. Aber ich wollte wirklich zu gern wissen, wie weit sie bei ihren Rollenspielen ging. Eigentlich wollte ich sie das immer schon gefragt haben, seit sie mir diese Geschichte erzählt hatte.
»Nein, eigentlich nicht. Ich bin zwar mit einer Menge unterschiedlicher Typen ausgegangen, aber normalerweise habe ich nicht …« Sie machte eine Pause und lachte dann.
»Was hast du nicht?«
Sie rückte von mir ab, bis wir uns nicht mehr berührten; dafür konnte ich jetzt ihr Gesicht sehen. »Sagen wir es so: Ich hab ein gutes Gespür dafür entwickelt, genau im richtigen Moment die Axt niedersausen zu lassen.«
»O Mann, bist du böse.« Ich lachte leise. »War diese Methode denn für Arschlöcher reserviert, oder hast du auch Jagd auf nette Männer wie Michael gemacht?«
Eigentlich hatte ich erwartet, dass sie mir nur vage antworten und dieses heikle Thema damit beenden würde, doch sie tat genau das Gegenteil.
»Also erstens ist Michael kein netter Mann, sondern ein Heiliger. Das ist schon mal eine komplett andere Spezies. Ein Typ wie er würde niemals mit einer wie mir nach Hause gehen.« Ihre Miene blieb entspannt, aber sie wirkte sehr nachdenklich und ließ ihre übliche Abwehrhaltung vollkommen vermissen. »Zweitens ging es mir gar nicht darum, diesen Typen eins auszuwischen oder sie zu manipulieren. Aber wenn man Leuten alles gibt, was sie wollen, wozu sollten sie einen dann noch brauchen?«
Ich hielt die Augen offen und konzentrierte mich auf ihr Gesicht. Nach all den Monaten verstand ich endlich, wer Jenni Stewart war. Endlich ergab ihr Verhalten für mich einen Sinn. Und auch warum sie so gut mit Mason klargekommen war, war mir jetzt plötzlich klar. Sie hatten beide Zurückweisung erfahren. Nicht, dass wir anderen noch nie den Verlust von geliebten Menschen erlitten hätten, aber Trauer hatte eine andere Wirkung auf jemanden, als wenn man im Stich gelassen wurde. Mason und Stewart fühlten sich im Stich gelassen. Stewart war erst als Teenager auf ein College abgeschoben worden, um ihren Eltern nicht im Weg zu sein, und dann hatte erneut Funkstille geherrscht, als sie verhaftet worden war und ihre Eltern wirklich gebraucht hätte. Und Mason hatte seine Mutter vermutlich schon bei der Geburt verloren und ganz ohne Eltern aufwachsen müssen.
Genau das war der Grund, warum mir an der Agentenausbildung dieser geschäftsmäßige Ansatz von Anfang an so gut gefallen hatte. Aber jetzt, wo ich mit Stewart und Kendrick gesprochen hatte und es also Menschen gab, die mein Geheimnis kannten, tröstete mich das ebenso, wie es mich getröstet hatte, dass der 09er oder der 07er Adam mein Geheimnis gekannt hatte.
Stewart fielen die Augen zu. Ich rüttelte an ihrer Schulter. »Hey, kann ich dich was fragen?«
»Ja?« Sie sah mich erwartungsvoll an.
Der psychoanalytische Teil meines Gehirns würde keine Ruhe geben, bis ich weitere Antworten von ihr hatte. »Warum glaubst du, ist es uns so leicht gefallen … du weißt schon … was miteinander anzufangen? Oder vielmehr beinahe was miteinander anzufangen. Bis ich dann diesen Holly-Flashback hatte. Danach war es ja ganz und gar nicht mehr leicht.«
Sie zuckte mit den Schultern und schloss erneut die Augen. »Weil wir beide kaputte Typen sind.«
»Du hast also auch darüber nachgedacht? Versucht, es dir zu erklären?«, hakte ich nach in der Hoffnung, dass sie mich bei meinem Selbsterkenntnistrip nicht allein lassen würde.
»Ja. Wir sind nicht gut darin, mit anderen befreundet zu sein, egal mit wem«, sagte sie. Du kannst anderen, was das angeht, zwar weitaus besser was vorgaukeln als ich, aber es ist immer nur halbherzig gemeint. Ich hab dich zwei Jahre lang beobachtet, bevor du mit diesem Job angefangen hast. In der Zeit warst du
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