Feinde der Zeit: Roman (German Edition)
mir klapperten die Zähne, als hätte ich Fieber oder Schüttelfrost. Da mir klar war, dass ich mich erst ausruhen musste, bevor ich irgendwas reparieren oder in Erfahrung bringen konnte, kroch ich unter die Decke.
»Hey«, sagte ich, als mir wieder einfiel, wo mein Gespräch mit Kendrick geendet hatte. »Hast du schon mal von dieser Vortex-Theorie gehört?«
Da Stewart den Kopf schüttelte, erklärte ich ihr, was Kendrick mir eröffnet hatte und dass es Eileens Aufzeichnungen zufolge durchaus möglich war.
»Ich finde, du solltest mit Dr. Melvin reden.« Stewart ließ sich neben mich fallen, und mich überkam erneut heftige Übelkeit, als die Matratze auf und ab wogte.
»Ja, hab ich auch schon drüber nachgedacht«, murmelte ich. »Aber zuerst muss ich mir überlegen, wie ich das einfädele. Melvin ist ziemlich leicht zu verängstigen, und wenn er einmal Angst bekommen hat, macht er dicht und sagt uns gar nichts mehr.«
»Ja, ich weiß.« Stewart legte ihren Kopf neben meinen auf das Kissen.
»Was hast du vor?«
»Ich will schlafen. Ich hab seit vierundzwanzig Stunden kein Auge zugetan«, murmelte sie und klang bereits sehr schläfrig und leise. »Bin einfach nicht dazu gekommen, weil ich dir helfen musste. Aber wenn du jetzt schläfst, will ich das auch. Dann sind wir auch besser gerüstet für das Gespräch mit Dr. Melvin.«
»Oder für Eyewall, wenn sie versuchen, uns umzubringen«, fügte ich hinzu.
»Ja, das auch.« Stewart rutschte näher an mich heran, und weil sie eine angenehme Wärme verströmte, protestierte ich nicht. Meine Decke war nicht annähernd groß genug, um etwas gegen mein Zähneklappern ausrichten zu können.
»Wie fühlt sich das eigentlich an?«, fragte sie ein paar Minuten später.
»Wie eine total schlimme Grippe. So als hätte ich mehr als vierzig Grad Fieber«, sagte ich und schloss die Augen wieder.
»Nein, ich meine das Zeitreisen. Wie fühlt sich das an, wenn du springst?«
Ihre Körperwärme strahlte unter der Decke bis zu mir aus und sorgte dafür, dass meine Zähne endlich nicht mehr klapperten. »Die Halbsprünge fühlen sich so an, als würde alles an mir in zwei Teile gerissen. Und wenn ich zurückkomme, fühle ich mich, als hätte ich den grässlichsten Jetlag, den du dir vorstellen kannst. Für mich selbst ist dann meistens ziemlich viel Zeit vergangen, für die Menschen in meiner Homebase aber nicht.«
»Ich glaube, das alles wird sich für mich immer ziemlich verrückt anhören. Oder unfassbar ist vielleicht das bessere Wort dafür.«
Ich lachte. »Ja, das geht mir nicht anders.«
Sie rückte noch ein Stückchen näher, so dass wir fast Wange an Wange lagen. »Mason, dein Dad und ich hatten an einem Abend mal eine ziemlich lange Diskussion. Ich glaube, das war letztes Jahr, als wir während einer Mission in Costa Rica gemeinsam die Aktion am Bildschirm in der Zentrale überwacht und uns gelangweilt haben. Mason hat damals die ganze Zeit von irgendeiner verrückten Theorie gefaselt und war der festen Überzeugung, dass man es nicht überleben kann, wenn man sich selbst bei einem Supersprung begegnet. Der Schock allein wäre so groß, dass beide Ichs sterben würden. Dein Vater hat damals etwas gesagt, worüber ich zu der Zeit nicht weiter nachgedacht habe, aber von heute aus betrachtet …«
»Ja?«, fragte ich nach, obwohl meine Augenlider immer schwerer wurden.
»Er hat gesagt, man würde mehr verkraften, als man gemeinhin denkt. Und das war nicht im Sinne einer Durchhalteparole gemeint, sondern ging eher in die Richtung, dass wir die Fähigkeit besitzen, uns an unsere Umgebung anzupassen. Dass wir als Menschen Überlebenskünstler sind. Ich weiß, dass das jetzt so klingt, als hätte er seinen Agenten gut zureden wollen, um sie bei der Stange zu halten, aber ich hatte damals das Gefühl, dass er aus Erfahrung sprach, so als wäre er sich selbst schon mal irgendwann begegnet.« Sie gähnte und rückte noch näher. »Ach, was soll’s. Wenn ich ein bisschen geschlafen habe, kann ich’s bestimmt besser erklären.«
Bei der Vorstellung, dass Dad vielleicht schon mal einer anderen Version von sich selbst begegnet war, musste ich wieder daran denken, wie Holly die andere Holly angestarrt hatte. Sie hatte danach zwar angedeutet, dass sie womöglich reif für eine Therapie wäre, aber abgesehen davon, war es ihr gutgegangen.
»Ich glaube, wir tun beide dasselbe: Wir gehen alles, was er uns je erzählt hat, noch mal durch in der Hoffnung, dass seine Worte Teile
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