Feinde der Zeit: Roman (German Edition)
steht, Hol. Ich hab ihn noch gesehen, bevor –« Ich erstarrte, als mir bewusst wurde, dass ich gerade zu viel erzählt hatte.
Sie verzog wütend das Gesicht, und ich rechnete schon damit, dass sie mich wegstoßen würde. »Red nicht so, als hättest du ihn gekannt! Adam ist dir doch völlig egal, genauso wie ich dir völlig egal bin! Ich weiß genau, wie dieses Spiel läuft, wahrscheinlich sogar besser als du.«
»Ich bin derjenige, der Dr. Melvin tot aufgefunden hat, und ich frage mich, wer da dieses Chaos angerichtet hat. Eyewall nicht, oder?« Ich hatte meine Stimme erhoben, und sie sah mich erschrocken an. Daraufhin fuhr ich mir mit den Fingern durchs Haar und versuchte mich zu beruhigen. Nichts lief so, wie es sollte. »Ich wollte dich nicht anschreien. Tut mir leid.«
Auf ihrem Gesicht lag plötzlich eine unheimliche Ruhe, und sie flüsterte: »Und ich hab Adam gefunden. Das war der schrecklichste Moment meines Lebens.«
»Du kannst gar nicht da gewesen sein«, platzte ich heraus. »Das wüsste ich.«
»Glaub mir. Ich war da.«
Mir drehte sich der Magen um. Das musste nach mir gewesen sein, ein ganzes Stück danach. »Erzähl mir, was passiert ist.«
Sie richtete ihren Blick auf die hinter mir liegende Wand. »Ein anderer Agent kam bei mir vorbei, und wir sind zusammen zu Adam gefahren, um ihn abzuholen. Und als wir ins Haus kamen, hab ich ihn dort liegen sehen. Er war über und über voller Blut, nicht mal sein Gesicht konnte ich sehen. Er atmete nicht mehr; seine Augen waren weit aufgerissen und es kam mir vor, als flehte er mich an, ihm zu helfen, aber es war zu spät.«
Als die Erinnerung wieder wach wurde, wie ich ihn dort hatte liegen sehen, schloss ich für einen Moment die Augen; Schmerz überwältigte mich. Holly hielt die Pistole nur noch nachlässig fest und führte ihre Hände nun nach oben, um ihr Gesicht zu bedecken. Ihre Reaktion überraschte mich, aber vielleicht war das das erste Mal, dass sie über dieses Erlebnis sprach.
»Der Typ, mit dem ich dort war, Carter«, sagte sie mit tränenerstickter Stimme, »der hat mich von da weggezerrt, bevor ich irgendwas tun konnte. Er sagte, das wäre Vorschrift. Ich weiß nicht mal mehr, wie ich zurück ins Auto gekommen bin. Wir haben ihn einfach dort liegengelassen, als hätten wir ihn nie gefunden. Und später an diesem Tag musste ich dann auf der Polizeiwache seine Mutter anlügen und sagen, ich hätte ihn den ganzen Tag nicht gesehen.« Sie nahm die Hände herunter und offenbarte ihr tränenüberströmtes Gesicht. »Weißt du, was die Polizei ihr gesagt hat?«
»Was?«, flüsterte ich, obwohl ich den Bericht schon ein Dutzend Mal gelesen hatte.
»Sie haben ihr erzählt, er wäre gestürzt oder über irgendwas gestolpert.« Sie sog den Atem ein und versuchte, ruhig zu sprechen, doch ihre Stimme wurde eher noch zittriger. »Er ist ermordet worden, und seine eigene Mutter glaubt, es wäre ihre Schuld, dass er tot ist, weil sie das blöde Staubsaugerkabel nicht richtig eingerollt hat oder irgend so was. Ich darf nichts sagen, kein Wort. Ich muss sie Tag für Tag in dem Glauben lassen, dass sie den Tod ihres Sohnes hätte verhindern können. Dass sie ihn womöglich sogar verursacht hat. Ich will das nicht mehr. Ich will nichts mehr von alldem. Aber es gibt kein Zurück; ich kann nicht mehr aussteigen. Ich werde alles tun, was man mir sagt, weil ich nicht eines Abends nach Hause kommen will, und meine Mutter liegt wie Adam in ihrem Blut.« Sie schlug erneut die Hände vors Gesicht und schluchzte nun laut.
Ich fühlte mich, als hätte mich ein Lkw überrollt. Vorsichtig legte ich die Arme um Holly und zog sie an mich. Es war dumm, sie zu berühren, ihr so nahe zu kommen, weil sie mir nicht vertraute, aber daran dachte ich in diesem Moment gar nicht. Das hier war Holly, und sie weinte. Da konnte ich unmöglich über all die unsichtbaren Barrieren zwischen uns nachdenken.
»Es tut mir so leid, Holly. Wirklich. Das hätte nie passieren dürfen.« Ich schluckte mühsam den Kloß hinunter, der mir im Hals steckte, und drückte sie noch fester. Ihre Wange lag an meiner Brust, und ihr gesamter Körper bebte unter ihren Schluchzern. Ich rutschte ein Stück weiter, um mich mit dem Rücken an die Wand lehnen zu können, und zog Holly mit, die ihr Gesicht in meinem Polohemd vergrub.
Nichts, was ich je bei Tempest erlebt hatte, hatte sich so furchterregend angefühlt. Die Situation, in die Holly sich manövriert hatte, war weitaus schlimmer als meine
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