Feinde der Zeit: Roman (German Edition)
Gesicht erschien ein fieses Grinsen. »Eine kleine jungfräuliche Spionin zu nageln. Das ist anscheinend was ganz Besonderes. Dabei waren es meine am leichtesten verdienten Punkte.«
Aus Hollys Gesicht wich alle Farbe, während ich rot anlief, als ich begriff, was Carter da sagte. Es war gar nicht Brian. Sie hatte nie gesagt, dass sie zusammen wären, ich hatte es nur angenommen.
»Arme Flynn, dein bester Freund ist tot. Brauchst du eine Schulter, an der du dich ausheulen kannst? Und vielleicht einen Drink?« Er streckte die Hand nach ihren Haaren aus, doch sie wich zurück. »Es hätte gar nicht einfacher sein können. Und ich glaube, ich nehme wohl die tote Doppelagentin. Und sei es nur, um auf der Tabelle nach ganz oben zu kommen, wie es sein sollte.«
Das Blut pumpte derart schnell durch meine Adern, dass ich etwaige Ängste gar nicht wahrnehmen konnte, die mich sonst vielleicht gelähmt hätten. Er wird sie umbringen.
Die Entscheidung war zugleich einfach und schwer. Innerhalb einer Millisekunde schwenkte ich die Pistole, die ich auf Holly gerichtet hatte, auf Carter und feuerte ihm mitten in die Brust. Genauso plötzlich, wie er getroffen worden war, fiel er mit einem verwunderten Gesichtsausdruck um.
Er hatte nicht erwartet, dass ich das tun würde. Er hat mich genau studiert. Meine Arme, meine Beine – alles zitterte. Holly schnappte laut nach Luft und sah mich unglaublich entsetzt an. Diese Miene werde ich wahrscheinlich nie vergessen.
Niemals.
Bleib in deiner Agentenrolle, sonst zieht ein anderer womöglich dieselben Schlussfolgerungen wie Carter. Ich schnappte mir Holly und presste ihr die Waffe an die Schläfe. Der Schock und die Dumpfheit, die sich in mir breitmachten, weil ich Agent Carter erschossen und Freeman tot aufgefunden hatte, waren mir beinahe willkommen. Ich wusste nicht, ob hier noch jemand war, der uns belauschte und darauf wartete, dass ich Holly gegenüber Mitgefühl zeigte, und dann ganz genau wissen würde, was sie mit ihr machen sollten. Dieses Risiko konnte ich nicht eingehen, auch wenn ich es hasste, der Böse zu sein. »Wir gehen jetzt hier raus, und falls du abzuhauen versuchst, finde ich dich. Ich kenne Methoden, um Leute aufzuspüren, denen du niemals entkommen kannst.«
Diesmal gab es von Holly keine Tränen, keine Wut. Gar nichts. Sie ging langsam, ein oder zwei Schritte vor mir. Ich richtete die Waffe auf ihren Rücken, aber tief genug, damit es draußen niemandem auffallen würde. »Wo bringst du mich hin?«
Ich gab keine Antwort, denn ich war mir auch nicht sicher, wo dieser Ort war. Ich hielt sie am Oberarm fest und dirigierte sie zu der Adresse, die in der SMS angegeben war.
Sobald wir im Freien standen, an der warmen Nachtluft, verhielten wir uns beide wie professionelle Agenten und nahmen die Umgebung mit wachen Augen in uns auf. Ich beschleunigte meine Schritte und trieb Holly so vorwärts. Als wir an unserem Ziel ankamen, führte ich die Pistole wieder an ihre Schläfe. Die Tür zu dem Gebäude stand einen Spalt weit offen. Ich stieß sie mit dem Fuß auf, um Holly keine Gelegenheit zur Flucht zu geben, indem ich meine Hände benutzte.
Wir betraten einen fast komplett dunklen Flur. Der schmutzige, völlig marode Holzboden knirschte unter unseren Füßen. Es roch derart muffig, dass ich durch den Mund atmen musste. Ich schrammte mit der Schulter an der Wand entlang und spürte, dass sich ein großes Foto abzulösen begann. Ich blieb stehen, um es anzuschauen, und hätte beinahe die Pistole fallen gelassen, als ich das Motiv erkannte, das sich auf einer ganzen Reihe von Fotos wiederholte.
Ich war auf all diesen Bildern zu sehen – immer wieder ich.
Das erste Bild zeigte eine Version von mir, die in Jeans und langärmeligem blauem Polohemd die 92. Straße entlangging. Während ich mit der Nase ganz dicht an die Bilder herantrat, lockerte ich meinen Griff um Hollys Arm. Auf dem nächsten Foto war dieselbe Version von mir abgebildet, nur zwei Schritte näher an meinem Ziel, und direkt hinter ihr lief, in die entgegengesetzte Richtung, eine andere Ausgabe von mir. Sie trug einen Arm in der Schlinge und einen Bluterguss im Gesicht; in ihrer Jeans befand sich auf Kniehöhe ein Riss, der vom Erklettern eines Hoteldachs auf Martha’s Vineyard stammte.
Das waren die Überwachungsaufnahmen vom 15. März 2009. Von der Kamera an der Straßenecke, die zu überprüfen Adam mir geraten hatte. Die Fotos, die auf rätselhafte Weise verschwunden waren.
Und da war er,
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