Feinde der Zeit: Roman (German Edition)
ich sog ihren Duft ein. Ich hätte das Hundertfache der Spende dafür gegeben, mich für immer und ewig so gut fühlen zu können. Selbst mit fest geschlossenen Augen wusste ich, dass meine Finger den winzigen Leberfleck unten auf ihrem Rücken finden würden, und wenn ich die nackte Haut an ihrer rechten Körperseite berühren würde, wäre da ihre seidenglatte hellrosa Narbe. Es gab keinen Zentimeter an Hollys Körper, der mir nicht vertraut war, eingebrannt in mein Gedächtnis. Mir war nur nie klar gewesen, wie viel Freude es mir bereiten würde, das alles zu wissen, und wie sehr ich die Vorstellung hassen würde, dass auch jemand anders ihren Körper so gut kannte.
Ich spürte, dass ich mich weiter vorbeugte. Sie schaute mich lange an, und da vergaß ich mich. Ich vergaß, dass sie mich ja gar nicht kannte. Vergaß alles. Mein Mund bewegte sich auf ihren zu, meine Finger glitten über ihren Rücken. Ich neigte den Kopf weiter nach unten, und mein Herz schlug gleich höher vor lauter Vorfreude, in einem perfekten Rhythmus, der mich vorwärtstrieb, bis nur noch eine dünne Luftschicht unsere Lippen trennte.
Genau in diesem Moment traf mich die Realität wie ein Schlag ins Gesicht. Hollys ganzer Körper verspannte sich. Ihre Augen irrten verlegen durch den Raum, als suchte sie nach jemandem, der sie rettete.
Vor mir.
Die letzten Töne des Songs verklangen. Ich ließ die Arme sinken. Plötzlich stand eisige Luft zwischen uns. Sie wich nicht sofort zurück, und ich stammelte eine Entschuldigung. »Äh, tut mir leid. Das war … Ach, vergiss es«, sagte ich schließlich, drehte mich um und ging weg, bevor es noch schlimmer werden konnte. Aus dem Augenwinkel sah ich, dass Senator Healy zu ihr trat und ihr etwas zuflüsterte.
Wahrscheinlich entschuldigte er sich für mein offensichtlich unmögliches Verhalten.
Ich spürte ein Druckgefühl in der Brust und wusste nicht, ob es Trauer war oder der Beginn einer Panikattacke. Aber egal, was es war, ich musste hier raus, und zwar schnell.
Ich stürzte durch die Menge zur Tür, schlüpfte aus dem Saal und lehnte mich in der Hotellobby an die Wand.
O Gott, was bin ich nur für ein Idiot. Das konnte verheerende Folgen haben. So viele Leute hatten Holly und mich zusammen gesehen. Die Agenten von Tempest und Eyewall, Senator Healy … Ich schloss die Augen und versuchte ruhig zu atmen und eine Erklärung für all das zu finden. Sollte ich es als Tarnung ausgeben?
»Hey, wer ist denn diese Blondine?«, fragte Mason.
Ich schlug die Augen auf. Er stand direkt neben mir und lehnte ebenfalls an der Wand. »Äh, niemand. Mich hat zufällig das Los getroffen, und ich hab mich breitschlagen lassen.«
Masons Augen bewegten sich durch die Lobby und registrierten einfach alles; er war mit Leib und Seele Agent. »Stewart hat sich ganz schön aufgeregt. Meinst du, sie ist eifersüchtig?«
Ich hatte kaum Zeit genug, die Augen zu verdrehen, da lachte er prustend los und erklärte: »Die Frau ist echt begabt. Sie hat gerade in mindestens vier verschiedenen Sprachen ›Fick dich‹ gesagt.«
Er zupfte sich am Ohr, und ich nahm an, dass Stewart etwas in ihr Funkgerät geschrien hatte.
»Nein, das mit Stewart hat nichts zu bedeuten. Für keinen von uns«, erklärte ich ihm in der Hoffnung, dass er es mir abnahm, aber ich glaubte nicht, dass er es tat.
Er drückte einen Finger auf das winzige Mikro unter seinem Hemdkragen und flüsterte: »Aber du hast doch … du weißt schon, eine Nacht mit ihr verbracht, oder?«
Ich rieb mir mit den Händen durchs Gesicht und seufzte. »Können wir vielleicht ein andermal darüber reden?« Er zuckte mit den Schultern. »Kein Problem.«
Mason machte Anstalten weiterzugehen, doch ich hielt ihn fest und grinste ihn an. Ich gab mir alle Mühe, normal zu wirken und mir nicht anmerken zu lassen, welches Drama sich eben im Saal für mich abgespielt hatte. »Wie lief’s eigentlich neulich mit diesem Mädchen?«
Vor ein paar Tagen hatte ich Mason geholfen, ein Mädchen anzusprechen, das wir bei einer Observation draußen vor dem Hotel getroffen hatten. Er hatte sie schließlich eingeladen, mit ihm auszugehen, doch ich hatte noch nicht gehört, was aus seinem Date geworden war.
Auf seinem Gesicht breitete sich ein Grinsen aus. »Gar nicht übel. Nein, im Gegenteil.« Er zog eine winzige Flasche Jack Daniels aus seiner Jackentasche und warf sie mir zu. »Hier, die hab ich aus einer Minibar im vierten Stock. Du siehst aus, als könntest du einen Drink
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