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Feinde kann man sich nicht aussuchen

Feinde kann man sich nicht aussuchen

Titel: Feinde kann man sich nicht aussuchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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mit einer traurigen, ja, tragischen Aura, die die Jahrzehnte
jedoch verdünnt hatten. Nicht so in dieser modernen Geisterstadt von Hunters
Point. Hier war die Intensität noch ungebrochen, die Häßlichkeit ungemildert.
Der rauhe Wind wirkte natürlich auch nicht gerade aufheiternd, ebensowenig wie
das dumpfe Grau dieses Nachmittags. Aber zudem schwang in der kalten Luft ein
Hauch von Vergeblichkeit und Verfall. Die Mahnung an vergessene Menschenleben,
verbracht in nahezu vergessener Mühsal und Plackerei. Der Verweis auf die
Eitelkeit nahezu allen menschlichen Trachtens.
    Suits und ich standen auf einer kleinen
Erhebung in der Nähe des Hubschraubers und sahen eine Schlaglochpiste entlang,
die zu einem Gewirr aus halbverfallenen Kaianlagen und verrosteten Ladekränen
führte. Offenbar unberührt von der Kälte und den Emotionen, die in der Luft
herumschwirrten, redete er munter und heftig gestikulierend auf mich ein.
    »Dort drüben beim Südbecken«, — er
zeigte in Richtung des fernen Candlestick Park — »das Stück ist so verseucht,
daß nichts anderes bleibt, als es einfach zu versiegeln — zubetonieren und
fertig. Aber diese Kaianlagen dort« — er lenkte mein Augenmerk nach Nordosten —
»die können wieder voll nutzbar gemacht werden. Das Trockendock« — er zuckte
die Achseln — »teure Sache, das in Schuß zu bringen, deshalb lasse ich es bis
zum Schluß.«
    »Und das da?« Ich wies mit einer
ausholenden Handbewegung auf die Gebäude und Parkplätze um uns herum.
    »LKW- und Güterbahn-Terminal.« Er
drehte sich ein Stückchen um seine Achse. »Das Gelände dort drüben, wo Dago
Mary’s Restaurant und diese Atelier- und Werkstattgebäude stehen, gehört jetzt
der Stadt. Die Kunsthandwerksbetriebe, die dort einziehen, können von meinem
Mega-Terminal nur profitieren. Und außerdem plane ich ein Einstellungs- und
Ausbildungsprogramm, das den Einwohnern von Bayview-Hunters Point unmittelbar
zugute kommen wird.«
    »Und was war mit dem Tunnel?«
    »Das beste zum Schluß.« Er faßte mich
um die Schultern und drehte mich, bis ich auf das hügelige Gelände gen Westen
guckte. »Siehst du die Schienen da?«
    Sie waren rostig und
unkrautüberwuchert. »Mm-hmm.«
    »Sie treffen auf die alte
Southern-Pacific-Strecke, bei einem Tunnel im Bayshore-Distrikt. Durch den
Tunnel, die Halbinsel nach Süden runter, noch ein Stückchen nach Osten, und
schon geht es durch bis nach Chicago und zu anderen Knotenpunkten.«
    Ich sah die Schienen entlang, versuchte
mir die Reise vorzustellen, die er da beschrieb. Ich hatte den Tunnel noch nie
gesehen, wußte aber von seiner Existenz und der eines zweiten in der Nähe von
Potrero Hill. Sie waren beide über hundert Jahre alt. Die Lage San Franciscos,
hinter einer Bergkette am äußersten Ende einer langen schmalen Halbinsel, hatte
den Bahnanschluß immer kompliziert und so zum Niedergang des Hafens
beigetragen.
    »Und was ist mit dem Tunnel?« fragte
ich.
    »Er ist veraltet, das ist das Problem.
Die Bahnlinien stapeln die Seefracht-Container schon seit Jahren in zwei
Schichten übereinander — spart Zeit und Geld — , aber der Tunnel ist nicht hoch
genug für diese Waggons. Deshalb scheint mir die Tieferlegung des Tunnels die
einzige Möglichkeit, wenigstens einen Teil des Hafengebiets weiter für
Schiffahrtszwecke zu nutzen. Ich habe einen Deal mit der Southern Pacific und
der Hafenverwaltung ausgehandelt, der besagt, daß ich die Finanzierung regle
und die Verantwortung für die nötigen Arbeiten trage.«
    »Wieviel wird dich das kosten?«
    »Ach, so um die sechs Millionen.«
    »Großer Gott.«
    »Das ist gar nichts. Die Kosten werden
sich in Windeseile amortisieren.«
    Es klang alles so plausibel — oder
hätte jedenfalls so geklungen, wäre es von jemand anderem als Suitcase Gordon
gekommen. Oder unterschätzte ich ihn?
    Schließlich sagte ich: »Okay, jetzt weiß
ich Bescheid über die Geschichte der Golden Gate Lines und deine Pläne in
dieser Sache. Aber bis auf diesen Vorfall beim Miranda’s, der auch ein
mißglückter Raubüberfall gewesen sein könnte, hast du mir noch keine Beweise
dafür geliefert, daß dich jemand umbringen will.«
    »Komm mit.« Er steuerte auf den
wartenden JetRanger zu.
    Ich zögerte, folgte ihm dann. Es war
eindeutig gefährlich, sich mit Suits einzulassen: Was, wenn es ihm gelang, mich
dazu zu erziehen, nicht nur keine Fragen mehr zu stellen, sondern auch noch
Befehle zu befolgen?
     
    »Es war in etwa so, wie Mr. Gordon es
Ihnen

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