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Feinde kann man sich nicht aussuchen

Feinde kann man sich nicht aussuchen

Titel: Feinde kann man sich nicht aussuchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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geschildert hat.«
    Ich bemerkte einen Hauch von
Zurückhaltung in Dick Farleys Stimme, sah auf und musterte den Manager des Jack
London Terminal im Innenhafen von Oakland, wo die Frachtgüter der Golden Gate
Lines umgeschlagen wurden. Farleys wettergebräuntes Gesicht unter dem
Schutzhelmrand war ausdruckslos.
    Suits hatte Josh Haddon vor einer
halben Stunde hier landen lassen, mir einen Helm verpaßt und mich über einen
Pier zu Liegeplatz Drei geschleppt, wo Farley laut Auskunft des Büros mit einem
seiner Lademeister konferierte. Suits hatte es so hingestellt, als seien wir
hier, damit Farley mir in eigenen Worten von dem Unfall vor zwei Wochen
berichtete, bei dem er, Suits, angeblich um ein Haar von einem
Schraubenschlüssel erschlagen worden wäre, der von einem am Entladen des
GGL-Frachters Napa Harvest beteiligten Kran gefallen war. Aber Suits
hatte den Mann gar nicht zu Wort kommen lassen, sondern den Vorfall selbst in
allen dramatischen Einzelheiten geschildert. Er war gerade beim Höhepunkt der
Geschichte angelangt — »Das Ding hat nur meine Schulter gestreift, aber es tat
tagelang höllisch weh. Ich habe die ganze Zeit nur gedacht, es hätte mich auch
am Kopf erwischen können und mir den Schädel spalten wie eine reife
Wassermelone!« — als ein Piepser in der Reißverschlußtasche seines Sweathirts
losging und er sich entschuldigte, um ein Telefon zu suchen.
    Farley und ich marschierten über den
Pier zurück zum Bürogebäude. Zu unserer Linken ragte die geschwungene weiße
Schiffswand eines mit übereinandergestapelten Containern beladenen Frachters
empor; zu unserer Rechten erstreckte sich eine riesige Betonfläche, auf der
weitere Container, Sattelschlepper, Gabelstapler und Kräne standen. Gegen das
Gedröhne der Dieselmotoren und das Quietschen des schweren Geräts kam man nur
mit äußerster Stimmstärke an. Ich holte Luft und brüllte: »In etwa?«
    Farley nickte.
    Ich wartete, bis wir die
Helmpflichtzone verlassen hatten, nahm meinen Helm ab und schüttelte meine
Haare aus. Sie fielen adrett auf meine Schultern, genau wie es mir der Friseur
verheißen hatte, der vor gut einem Monat meinen langen Zöpfen zuleibe gerückt
war. Farley nahm ebenfalls den Helm ab und fuhr sich mit der Hand über den
stahlgrauen Militärhaarschnitt. Er bedeutete mir, ihm zu folgen, und ging
hinüber an den Rand des Kais, wo der Krach weniger aufdringlich war.
    Ich sagte: »Ich nehme an, die Sache war
nicht ganz so lebensgefährlich, wie Mr. Gordon es dargestellt hat.«
    »Na ja, hier draußen kann jeder Unfall
verdammt gefährlich sein. Und Mr. Gordon hatte es versäumt, seinen Helm
aufzusetzen.« Er pochte mit dem Fingerknöchel auf seinen eigenen. »Aber seine
Schulterverletzung war nicht der Rede wert.«
    Eine Verletzung, die nicht der Rede
wert war und doch »tagelang höllisch wehtat«? Langsam kam mir der Verdacht, daß
mein alter Freund ein bißchen hypochondrisch war.
    »Sind Sie der Sache nachgegangen?«
fragte ich.
    »Wir untersuchen hier jeden Unfall
gründlich, auch wenn er noch so unbedeutend war. Und außerdem hat Mr. Gordon
natürlich darauf bestanden, daß wir die große Inquisition anleiern.« Farley
lächelte leise und sah dann mit zusammengekniffenen Augen auf mich herab, um zu
prüfen, wie ich diese Bemerkung aufnahm.
    Ich lächelte zurück.
    »Es war schlicht und einfach ein
Unfall«, fuhr er fort. »Wir haben festgestellt, wer den Schlüssel dort oben
liegengelassen hat, und den Betreffenden entsprechend vergattert.
Runtergefallen ist das Ding durch die Vibrationen des Krans. Der Kranführer hat
das bestätigt, und er ist einer unserer vertrauenswürdigsten Leute.«
    »Dann hat also Ihres Wissens hier im
Terminal niemand versucht, Mr. Gordon etwas anzutun?«
    »Nach allem, was ich weiß, nicht.«
    »Ist denn jemand unter den
Beschäftigten hier, der vielleicht einen Grund haben könnte, ihm etwas
anzutun?«
    »...Na ja, Männer wie er machen sich
Feinde. Natürlich kann es sein, daß er jemandem auf die Hühneraugen getreten
ist. Aber wem...« Er zuckte die Achseln.
    »Wissen Sie, was er mit der GGL
vorhat?«
    »Ja, er war da immer sehr offen.«
    »Stellen diese Pläne eine Bedrohung für
den Hafen von Oakland dar?«
    »Na ja...« Farley überlegte und klemmte
den Helm zwischen Arm und Hüftknochen. »Fest steht jedenfalls, daß der Hafen
hier in der Klemme steckt. Letztes Jahr hat die APL — die American President
Lines — beschlossen, ihre Terminals in Seattle und L. A. auszubauen statt

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