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Feinde kann man sich nicht aussuchen

Feinde kann man sich nicht aussuchen

Titel: Feinde kann man sich nicht aussuchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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Bleistift.«
    Er war immerhin willig, das mußte ich
ihm lassen. Ich berichtete ihm kurz von Suits’ Verschwinden. »Ich möchte, daß
du dort rausfährst und überprüfst, was Romanchek gesagt hat. Frag möglichst
viele Leute, ob sie Suits gesehen oder mit ihm gesprochen haben. Notier dir
alles ganz genau, und ruf mich an, sobald du fertig bist.«
    »Shar, wie soll ich denn dorthin
kommen? Ich habe kein Auto, und ich bezweifle, daß Rae mir ihres borgt, wenn
ich sie um drei Uhr morgens aus dem Bett hole.«
    »Du liebe Güte, du brauchst doch nicht
sofort aufzubrechen. Die Fahrt dauert höchstens drei bis dreieinhalb Stunden.«
    »Trotzdem glaube ich nicht, daß sie mir
die Rumpelkiste am Wochenende gibt.«
    Wenn ich an Raes alten und nicht
umsonst unter diesem Namen firmierenden Rambler dachte, wollte ich Mick lieber
nicht damit auf der schmalen, kurvigen Küstenstraße wissen. »Du kannst meinen
Wagen nehmen. Er steht auf dem Flughafenparkplatz in Oakland. Die
Zweitschlüssel hängen am Kühlschrank.«
    »Ich seh sie von hier.« Jetzt klang
Mick ganz munter — geradezu freudig erregt. »Shar, ich habe den ganzen Tag
drauf gewartet, aber von der zentralen Registraturstelle kam nichts über Sid
Blessing.«
    »Das ist ein bürokratischer Apparat. Da
können wir froh sein, wenn wir in einer Woche etwas hören.«
    »Paß auf, ich kann jetzt sowieso nicht
mehr schlafen. Ich könnte doch ins Büro gehen und mal probieren —«
    »Nein! Mit jeder illegalen Aktion setzt
du meine Lizenz aufs Spiel.«
    »Mich erwischt schon keiner.«
    »Ach, ja? Und wie war das mit der
Schulbehörde?«
    »...Okay. Vielleicht sollte ich einfach
gleich nach Mendocino fahren, damit ich dort gleich früh loslegen kann.«
    »Ja, warum nicht?«
    Erst als ich wieder im Bett lag, wurde
mir bewußt, daß er ganz schöne Probleme haben würde, um drei Uhr morgens zum
Flughafen von Oakland zu kommen.
     
    Irgendwann vor Tagesanbruch sank ich in
einen schweren, traumlosen Schlaf, aus dem ich kurz nach neun desorientiert und
mit wattigem Mund erwachte. Ich schleppte mich den Flur hinunter, um kalt zu
duschen, zog mich an und folgte dem Kaffeeduft nach unten in eine große
Fünfziger Jahre-Küche, die mich an die bei All Souls erinnerte. Jeannie hatte
mir gesagt, ich solle mich einfach bedienen; ich goß die Tasse voll, die sie
bereitgestellt hatte, und ging damit hinaus in den hinteren Garten, wo ich die
Pensionswirtin beim Laubharken fand.
    »Ich hoffe, ich habe Sie heute nacht
nicht gestört, als ich zum Telefon gegangen bin«, sagte ich.
    »Überhaupt nicht. Ich schlafe wie ein Murmeltier. Immer schon.« Sie lehnte den Rechen an eine Ulme und wischte sich mit dem
Handrücken über die Stirn.
    »Wie ein was?«
    »Das ist Deutsch. Schlafen wie ein
Murmeltier. Eine alte Redewendung, die ich von meiner Mutter aufgeschnappt
habe. Und was haben Sie heute morgen vor?«
    »Ich muß einen Mann namens Herb Pace
aufsuchen. Kennen Sie ihn?«
    »Nur vom Sehen. Der arme Mann. Was
wollen Sie denn von Mr. Pace?«
    Bisher war ich zu den Einwohnern von
Monora, mit denen ich zu tun gehabt hatte, offen gewesen, was den Grund meines
Hierseins anbelangte, aber Nancy Koll war die Polizeichefin und Arnos Ritter in
gewisser Weise ein Außenseiter. Es war sicher nicht ratsam, den Zweck meiner
Reise in das hiesige Klatschnetz einzuspeisen. »Ach«, sagte ich, »ich arbeite
für eine Versicherung. Ist nur eine Routinesache.«
    »Verstehe.« Jeannie wirkte ein bißchen
enttäuscht.
    Ich setzte mich auf die verwitterte
Holzbank, die den Stamm eines Ahorns umfing. »Warum sagen Sie ›der arme Mann‹?«
    Sie begann wieder zu harken und
versuchte, das Scharren und Rascheln zu übertönen. »Na ja, er hatte so einen
guten Posten im Stahlwerk, war jemand. Und dann haben sie ihn von einem Tag auf
den anderen rausgeworfen, und er war niemand mehr. Jetzt sieht man ihn immer in
der Stadt, auf dem Weg von dieser Bruchbude unten am Fluß, wo er jetzt wohnt,
zum Spirituosenladen und zu McGlennon’s Pub, und er sieht aus wie jede arme
Seele, die nicht weiß, was sie mit ihrer Zeit anfangen soll. Er wartet einfach
nur, daß er stirbt — und hilft noch ein bißchen nach, mit dem Schnaps.« Sie
hielt inne und lehnte sich auf den Rechen. »Nicht, daß ich für diese
Keystone-Fritzen etwas übrig hätte. Das Werk hat die Leute hier aufgefressen,
ganze Generationen. Und viele Menschenleben ruiniert.«
    »Inwiefern?«
    »Ist nun mal so in solchen
Industriestädten. Nehmen Sie nur mal meinen Mann

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