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Feinde kann man sich nicht aussuchen

Feinde kann man sich nicht aussuchen

Titel: Feinde kann man sich nicht aussuchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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mit einem herunterhängenden karierten Schalende
auf dem Rücken bog gerade in eine bergab führende Seitenstraße ein. Ich lief
ihm nach, rief ihn an.
    Pace hörte mich zuerst nicht. Als ich
noch einmal rief, sah er sich ärgerlich um. Ich bat ihn, zu warten, und er
blieb stehen, wobei er sich an einem Strommast abstützte. Er wirkte schmächtig
unter dem viel zu weiten Mantel; seine Haare waren verstrubbelt, die Wangen
stoppelig, die Augen glasig und gerötet. Er sah mich stirnrunzelnd an, als ob
er mich irgendwoher zu kennen meinte und mein Gesicht unterzubringen versuchte.
    Ich langte bei ihm an, nannte meinen
Namen und sagte, ich schriebe ein Buch über die Keystone-Sanierung. Paces
Lippen verzogen sich verächtlich, aber noch ehe er etwas sagen konnte, setzte
ich hinzu: »Ich habe gehört, daß viele Leute, darunter auch Sie, damals von T.
J. Gordon schäbig behandelt wurden. Das soll mein Schwerpunkt werden. Kann ich
mit Ihnen reden?«
    Einen Moment war ich mir sicher, daß er
sich weigern würde. Dann setzte er sich mit einem Achselzucken wieder in
Marsch. Ich hielt mich neben ihm.
    Einen halben Block weiter sagte Pace:
»Das Wort ›schäbig‹ ist unzureichend.« Seine Stimme war so rauh, als sei er
schwer erkältet; ihn überfiel eine Art Krampfhusten.
    Ich fragte: »Alles okay?«
    Pace bekam den Husten unter Kontrolle.
»Sehe ich so aus, junge Frau? Sieht diese Stadt so aus? Als wäre alles okay ?«
Er machte eine ausholende Armbewegung und geriet ins Wanken.
    Er hat schon getankt, dachte ich, und
mehr als einen. »Nein«, antwortete ich, »die Stadt ist in ziemlich schlechter
Verfassung.«
    »Und warum? Alles nur wegen T. J.
Gordon und seinen Henkersknechten. Seit der Jahrhundertwende war Keystone Steel
für die Leute hier in der Gegend Mutter und Vater. Und Monora war ihr Zuhause,
und zwar ein verdammt gutes Zuhause. Keystone hat rundum für sie gesorgt. Und
dann kam Gordon und vernichtete unser Stahlwerk. Er hat alle diese Arbeiter zu
Waisen gemacht. Sie können nicht selbst für sich sorgen, hatten es nie nötig.
Das Werk hat sich um alle gekümmert, um sie, um ihre Eltern, ihre Großeltern,
ja, sogar ihre Urgroßeltern, von der Wiege bis zur Bahre. Der Ausdruck ›in
ziemlich schlechter Verfassung‹ ist ebenfalls unzureichend.«
    Wäre da nicht mein Gespräch mit Jeannie
gewesen, hätte ich Paces Worte womöglich als Ausdruck eines gewissen Mitgefühls
mit seinen ehemaligen Betriebskollegen aufgefaßt. So jedoch erkannte ich
dahinter den Paternalismus und die Arroganz des Keystone-Managements.
    »Und Sie, Mr. Pace?« fragte ich.
»Fühlen Sie sich auch verwaist?«
    Er blieb stehen und richtete sich auf.
Funkelte mich von oben herab an. »Nein, junge Dame, ich fühle mich nicht
verwaist. Wenn Sie’s genau wissen wollen, ich fühle mich vernichtet.
Einundvierzig Jahre lang war Keystone Steel mein Leben. Ich habe das Werk
geleitet; ich habe die Unternehmenspolitik gelenkt. Ich habe alle wichtigen
betrieblichen Entscheidungen gefällt. Als sie das Werk stillgelegt haben, haben
sie mir meine Seele genommen.«
    »Aber als Direktor müssen Sie doch die
Entscheidung getroffen haben, Gordon an Bord zu holen und ihm freie Hand zu
lassen.«
    Paces Lippen preßten sich aufeinander;
sein wütendes Funkeln verschwamm, und er setzte sich wieder in Bewegung. Kurz
darauf sagte er: »Der Vorstand hat mich unseligerweise überstimmt. Ich habe
ihnen zu erklären versucht, daß es um das Unternehmen so schlecht gar nicht
stand, daß wir schon viel schlimmere Konjunkturschwächen überstanden hatten.
Sie wollten nicht auf mich hören.«
    Ich dachte an Suits’ Schilderung
dessen, was er bei seiner Ankunft hier vorgefunden hatte. Konjunkturschwäche?
Nie und nimmer. Amos Ritter hatte recht mit dem, was er über Pace gesagt hatte:
Er kapierte bis heute nichts.
    Wir bogen in die River Street ein. Pace
beschleunigte seinen Schritt — er hatte es zweifellos eilig nachzutanken.
    Ich fragte: »Und das
Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Verhältnis, Mr. Pace? Meines Wissens war in der
Ortsgruppe der Stahlarbeitergewerkschaft von Streik die Rede, bevor Ed Bodine
verhaftet wurde.«
    »Bei denen war immer von Streik die
Rede, auch in guten Zeiten. Bodine war ein Berufs-Agitator, der in seinem
ganzen Leben keinen einzigen Tag mit ehrlicher Arbeit zugebracht hat.«
    »Und außerdem war er ja wohl auch ein
Drogen-Dealer.«
    Pace schnaubte verächtlich. Wir hatten
sein Haus erreicht. Er überwand keuchend und mit Mühe die Eingangsstufen,

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