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Feinde kann man sich nicht aussuchen

Feinde kann man sich nicht aussuchen

Titel: Feinde kann man sich nicht aussuchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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machte. Die
Gewerkschaftsgruppe war eins ihrer größten Probleme, und der beste Weg, sie zu
schwächen, bestand darin, ihren Anführer auszuschalten — meinen Eddie.«
    »Hatte Ed irgendwelche
Vorsichtsmaßnahmen getroffen? Irgendwelche Vorbereitungen für den Fall, daß sie
ihn aufs Korn nehmen würden?«
    »Klar. Drei Wochen vor seiner
Verhaftung hat er eine Tasche bei mir untergestellt. Er hat gesagt, sie
enthalte Kleider und Bargeld, für den Fall, daß er sich absetzen und irgendwo
untertauchen müsse.«
    Als mir erstmals der Verdacht gekommen
war, daß Ed Bodine und der Augustmann identisch sein könnten, hatte mich ein
Detail gestört, das die im Zimmer des Aces & Eights gefundene
United-Airlines-Tasche betraf: der Keystone-Steel-Kugelschreiber im Futter. Ich
hatte es merkwürdig gefunden, daß Bodine den Kugelschreiber mit ins Gefängnis
genommen haben sollte, aber wenn die Tasche noch aus der Zeit vor seiner
Verhaftung stammte, war das Ganze schon plausibler.
    Ich fragte seinen Vater: »Was geschah
mit der Tasche?«
    Er sah weg. »Ich habe sie weggegeben,
nachdem sie Eddie eingesperrt hatten.«
    »Wie sah sie aus?«
    »...Weiß nicht mehr.«
    »Sie war nicht zufällig blau, mit einem
United-Airlines-Logo?«
    Er wandte sich mir langsam wieder zu. »Sie
haben sie gesehen?«
    »Ja.«
    »Sie haben Eddie gesehen?«
    »Nein.« Was da aus dem Wüstengrab
geholt worden war, war nicht sein Sohn gewesen — nicht mehr.
    Bodine nickte, als hätte ich ihm etwas
bestätigt.
    »Wann hat Eddie die Tasche geholt?«
fragte ich. »In der Nacht, nachdem er aus Greensburg geflohen war?«
    »Er hat sie nicht geholt.«
    Ich wartete.
    Bodine seufzte, ließ die Gehhilfe los
und sank in seinem Sessel zusammen. »Also gut, er hat an dem Abend angerufen
und mich gebeten, sie ihm zu bringen. Damals war meine Arthritis noch nicht so
schlimm, und ich konnte noch Auto fahren. Ich habe ihn auf einem Rastplatz
drüben an der Schnellstraße getroffen — bei New Stanton.«
    »Haben Sie seither je wieder etwas von
ihm gehört?«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Sind Sie ganz sicher?«
    »Also gut — zwei Postkarten, weiter
nichts.«
    »Woher?«
    »Eine von irgendwo in Illinois, die
andere aus Omaha. Stand nicht viel drauf, nur der übliche Touristensums, und
auch das nicht in Eddies richtiger Handschrift. Danach kam nichts mehr.«
    »Hat er gesagt, wo er hinwollte, als
Sie ihn auf dem Rastplatz getroffen haben? Hat er gesagt, was er vorhatte?«
    Der alte Mann sah wieder zur Seite.
    »Mr. Bodine?«
    »Ist sowieso egal.«
    »Bitte?«
    »Kann Eddie nicht mehr schaden. Er ist
tot.«
    »Wie kommen Sie darauf?«
    »Wenn er noch am Leben wäre, hätte er
sich gemeldet. Ich kenne doch meinen Jungen. Er war hinter Gordon her, und
Gordon hat ihn erledigt.«
    »Er hat Ihnen gesagt, daß er es auf
Gordon abgesehen hatte?« Bodine schloß die Augen, nickte. »Ja. Wir saßen in der
Nacht damals in meinem Auto, dort auf diesem Rastplatz. Eddie hat gesagt, er
würde Gordon für das bezahlen lassen, was er mit ihm und mit Keystone gemacht
hatte. Ich habe ihm gesagt, Gordon sei viel zu mächtig. Ich habe ihn angefleht,
es sein zu lassen. Aber mein Eddie hat ja nie auf mich gehört.«
    Ich dachte wieder an das Wüstengrab und
an die Zahnarztunterlagen, die jetzt per Eilpost unterwegs nach Nevada waren.
    »Jetzt ist alles egal«, sagte Bodine.
    Ich hatte kein tröstendes Wort für ihn,
und er erwartete auch keins. Bodine hatte seinen Sohn verloren, er wußte es,
und schon bald — vielleicht schon morgen früh — würde ein Polizeibeamter an
seine Tür klopfen, um ihm zu eröffnen, was er längst in seinem müden Herzen
ahnte.
     
    Ich hinterlegte den Zwanziger, den ich
Whitey versprochen hatte, bei dem Barkeeper in McGlennon’s Pub und parkte um
neunzehn Uhr fünfzig an der River Street beim Bahndamm. Der Vollmond stand hoch
am Himmel, hinter vorbeijagenden Wolkenfetzen; die Nacht war so kalt, daß ich
meinen Atem sehen konnte. Licht schimmerte durch die Vorhänge und Rollos der
armseligen Häuser hier unten am Fluß. Ein Kürbiskopf grinste verfrüht von einem
Verandageländer.
    Ich beobachtete die Bahnunterführung,
aber niemand ging in den Park. Ein Polizeiwagen kam um die Ecke und rollte
langsam auf mich zu; ich duckte mich, bis er vorbei war und bergauf einbog.
Dann stieg ich aus dem Wagen und ging auf die Unterführung zu.
    Von Süden ertönte das Tuten eines Zugs.
Ich blickte auf und sah das Licht der Lokscheinwerfer langsam um die Biegung
bei dem

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