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Feindesland

Feindesland

Titel: Feindesland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Uschmann
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einen dämlichen, beschissenen Witz machen!« Jetzt schreie ich wieder, und es tut mir nicht leid, dass sie sich mit brennenden Augäpfeln winden. Ich schüttele noch einmal den Kopf, gehe an den Desorientierten vorbei, konzentriere mich auf das Wenige, was ich noch sehen kann, und laufe langsam rückwärts vom Gelände. Renne, wie ich lange nicht gerannt bin.
    Greife eine willkürlich herumstehende Flasche Limonade vom Bürgersteig und schütte sie mir ins Gesicht, um den Pfeffer rauszuspülen. Laufe zur Amrumer Straße in den U-Bahn-Schacht, sehe die Anzeige mit »1 Minute«, danke Gott, dass heute Samstag ist, tippele von Bein zu Bein, sehe die Bahn einfahren, steige ein, fahre durch bis zum Zoo, steige aus, laufe zu Jochen und Mario und klingele Sturm.
     
    Es ist 4:37 Uhr, doch der Türsummer geht sofort. Ich renne das Treppenhaus hinauf. Jochen steht in der Tür, Gammelklamotten an, eine Cola in der Hand. In der Wohnung ist Licht, im Wohnzimmer hockt Mario mit Erdnussflips vor dem Fernseher, deren Zusammensetzung seit 15 Jahren unverändert geblieben ist, zwei Joypads auf dem gekachelten Wohnzimmertisch. Sie spielen Ecco The Dolphin.
    Ich falle auf den Teppich, als wäre ich betrunken. »O mein Gott«, sage ich, »es ist halb fünf Uhr morgens, und ihr spielt Ecco The Dolphin.« Mario sieht mich an, einen halbabgebissenen Flip im Mund. Ich schaue dem Delphin zu, wie er in der Grafik von 1993 durchs Wasser schwimmt und Gegnern ausweicht. »Können wir nicht dahin zurück?«, sage ich, die Knie im Teppich wie ein flehender Gläubiger, »wirklich zurück? In die Zeit vor Berlin? In die Zeit vor Firmengründungen und leeren Konten und Schutzgelderpressern und Bedrohungen und Moralministerien und Katern, die mitten in der Nacht einfach verschwinden? Können wir nicht einfach zurückschwimmen in unsere Kindheit? Jochen«, ich zerre an Jochens Hosenbund herum, »sag mir, dass das geht. Dass wir von vorn anfangen können. Bitte!« Jochen zieht mich hoch und prüft mich. Sieht die blutigen Knie, die Schrammen an Armen, Nacken und Hals, die rotgeweinten Augen. Dann geht er ins Bad und lässt mir eine Wanne ein. »Nein, nein!
    Wir haben keine Zeit! Wir müssen Yannick finden. Wir müssen suchen! Wir müssen wach bleiben!«
    Er kehrt aus dem Bad zurück und legt seine Hände auf meine Oberarme: »Wie gewinnt man ein schweres Jump'n'Run?«
    Ich stutze. Allein die Frage bewirkt etwas in meinem Kopf. Sie dimmt den Lärm. Jochen antwortet für mich: »Indem man sich konzentriert. Indem man den Level genau absucht. Nicht viele hektische Versuche und immer wieder der Tod. Ein Versuch, und den genau. Bist du verwundet, musst du die heilenden Pilze essen und Kraft schöpfen. Du kannst Prinzessin Peach nicht retten, wenn du fahrig bist und nicht bei der Sache. Und Yannick auch nicht. Und jetzt setz dich drüben in das warme Wasser und erzähl in aller Ruhe, was passiert ist.«
     
    Ich erzähle alles. Danach ruft Jochen Hartmut, Caterina und Susanne an. Sie hatten ebenso wenig Erfolg. Hartmut hat sich im Volkspark Rehberge verlaufen, und die Frauen mussten sich Beschimpfungen der Bewohner anhören, was ihnen einfiele, sie mitten in der Nacht wegen eines Tieres aus dem Bett zu holen; nicht mal für entführte kleine Mädchen würden sie sich gerne wecken lassen, schließlich würden die ja ohnehin nur von ihren eigenen Eltern versteckt, damit sie Titelseiten und Talkshowpräsenzen bekämen. Wenigstens haben die Frauen angesichts dieser Äußerungen niemandem Pfeffergas ins Gesicht geschossen. Dass ich das getan habe, kann Caterina zwar glauben, als wir uns um 6:30 Uhr alle am Zoo treffen, da sie damals auf der Autobahn erlebt hat, wie ich dem unverantwortlichen Lastwagenfahrer die Nase brach, doch sie weiß nicht, wie sie damit umgehen soll. Eigentlich bin ich ihr Kuschelhäschen, das »Miu miu« am Telefon sagt, und kein Mann, der sächsischen Jugendlichen nachts um halb vier die Waffe ins Gesicht hält. Eigentlich ...
    Eigentlich muss der Mensch schlafen, aber wir suchen weiter, den ganzen Tag nach der durchwachten Nacht. Jochen druckt Suchanzeigen auf dem alten Amiga mit Deluxe Paint III, wir besuchen jedes Tierheim und jede Tierarztpraxis, die am Vormittag des heiligen Abends noch geöffnet hat. Man erklärt uns, dass ein Kater mit seinen Krallen niemals das Katzenschutznetz hätte aufschneiden können. Katzen schneiden nicht, Katzen reißen. Er muss also tatsächlich entführt worden sein, von den Russen, irgendwie. Wir

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