Feindesland
bleiben darf. Als wolle er nichts weiter als ein Haus im Grünen mit festem Job, Pampasgras im Vorgarten und drei Kindern, die sicher versorgt sind und ihm beim Spielen Dartpfeile in den Schuh rammen. »Bloß Ruhe...«, sagt er, plumpst neben Jochen und Mario auf die Couch, sackt auf ihren Beinen in die Horizontale und schläft sofort ein.
Bewusstlos
Die Katze ist wild gefleckt. Braun, schwarz, weiß, orange, alles drin, ohne ein erkennbares Muster. Sie wetzt ihre Krallen am winterkalten Gehölz von Hartmuts Eltern, geht dann ein paar Schritte über den frostigen Boden und kackt hinter einen leeren Kübel. Ich halte Caterinas Hand und sehe mir das Schauspiel von der kleinen Terrasse aus an. Die Terrasse ist halbrund und hat Gitter wie ein Balkon. Sieben Gitterstufen führen von ihr hinab in die kleine Gartenparzelle eines Innenhofes, der von weiteren Parzellen eingenommen wird. Zu allen Seiten hin Häuser, Menschen auf Baikonen und eine Wendeltreppe zur Tiefgarage. Es wirkt nicht wie eine Wohnburg, sondern sehr gepflegt, jede Parzelle ist gestaltet wie bei der Bundesgartenschau, die Nachbarn in den oberen Stockwerken haben Statuen aus Keramik und Ton auf den Baikonen und Sitzmöbel aus wetterfestem Geflecht. Es ist das Wohnen halbwegs Wohlhabender, die Gesellschaft lieben. Die es mögen, dem Nachbarn in die Fenster sehen und sich über die Hecke hinweg Salz leihen zu können. Jetzt liegt ein Hauch von Schnee auf den Blättern und Ästen, Lichterbögen stehen in den Fenstern, und aus der Wohnung riecht es nach Zimtkuchen. Im Fenster hinter uns leuchtet der Weihnachtsbaum, eine gute Nordmanntanne mit weichen Nadeln und roten Kugeln. Im Garten versucht die Katze, ihre Häufchen zu vergraben, und bricht sich am harten Winterboden fast eine Kralle ab. Wir klammern uns aneinander und an die Atmosphäre, als könnte sie uns beruhigen. Dabei fühlen wir uns wie Kinder, die im Bus nach Hause sitzen und wissen, dass sie ihren Lieblingsbären im Bett des Landheims auf Sylt vergessen haben und sich nun jeden Meter von ihm entfernen. Yannick ist weg. Wir brauchen 5000 Euro. Wir müssen handeln. Doch um handeln zu können, müssen wir erst mal Weihnachten feiern. Wir drücken uns die Hände, üben noch einmal gemeinsam das offene, euphorische Lächeln, drehen uns um und gehen wieder ins Wohnzimmer.
Hartmut macht in der Küche den Abwasch. Hartmuts Vater ist nicht zu sehen und stromert irgendwo herum. Da die Wohnungstür nur angelehnt ist, scheint es wahrscheinlich, dass er im Keller neue Getränke holt. Das mag er sehr und tut es alle zehn Minuten. Auf der Couch sitzt Hartmuts Mutter neben Susanne und zeigt ihr ein altes, in mattroten Stoff gebundenes Fotoalbum.
»Das ist dein zukünftiger Ehemann im Kindergarten«, sagt sie und zeigt auf eine Seite. »Er wollte ja damals gar nicht.«
Susanne bemerkt, dass Hartmuts Mutter eine Reaktion braucht, und sagt: »Ach nein?«
»Nein! Wir mussten ihn förmlich hinzerren. >Will nicht, will nicht< hieß es, >andere Kinder sind doof!< Wir sagten: >Aber Schatz, da gehen alle Kinder hin!< Da hättest du mal erleben müssen, was da los war. Das lernten wir früh, dass das das schlimmste Argument ist, das man bei unserem Sohn bringen kann. >Ich bin nicht alle Kinder, ich bin ich< - ein einziges Theater.«
In der Küche klappert laut ein Glas.
»Oder hier, Susanne, guck! Bayerischer Wald. Da war er so sieben oder acht. Wir: >Hartmut, bleib bitte auf dem Wanderweg, ja?< Unser Sohn, was macht der? Zack, die Böschung hier hinauf und schnurstracks durchs Unterholz. So lief er dann parallel zu uns, stundenlang. Wir unten auf dem Wanderweg, er kraxelte oben auf dem Hang durchs Dickicht. Wir dachten damals: >Gut, lassen wir ihn.< Und dann«, Hartmuts Mutter lacht und klopft Susanne sanft auf die Schenkel, »dann kam die Stelle, wo der Wanderweg langsam zu Ende geht, der Hang aber nicht weniger steil ist als vorher. Klein-Hartmut kommt also vom Hügel gekraxelt, steht knapp zwei Meter über uns und traut sich nicht, auf den Weg zurückzuspringen. Am Ende musste sein Vater ihn immer dort runterholen. >Siehste<, haben wir dann gesagt, >ohne Eltern geht es eben doch nicht, Junge.< Natürlich nur, um ihn zu necken. Aaaach ...«
»Muss das denn unbedingt gezeigt werden?«, ruft Hartmut aus der Küche. »Zeig lieber Sportfest und Ehrenurkunde.«
Susanne sieht kurz auf, als störe ein Kauz. Sie findet es sehr interessant.
Die Wohnungstür öffnet sich, und mit einem beiläufigen Ächzen
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