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Feindesland

Feindesland

Titel: Feindesland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Uschmann
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um den Lärm und um die Menschen einen großen Bogen gemacht. Auf einem Mäuerchen hocken weitere Besucher und klammern sich mit den Händen lässig in den hinter ihnen in die Mauer montierten Zaun, Zigaretten im Mundwinkel. Mäuerchen und Zaun führen zu einem Biergarten neben der Disco. Der Biergarten steht leer, das Haus dazu ist eine Ruine. Zwischen Fragmenten von Betonbodenplatten und ehemaligen Terassendielen wachsen mannshohe Disteln und Brennnesseln. Die Fenster sind eingeschlagen. Hier sollte ich suchen. Wäre Yannick an der Disco vorbeigekommen, könnte er sich vor dem Trubel in diese Ruine geflüchtet haben. Ich betrete den Hof, es knirscht unter meinen Schuhen, die Mauersitzer rufen mir nach: »Hey, Alter, geh da nicht rein. Pfand findest du auch hier draußen!«
    »Vielleicht will er nur kurz für sich sein.«
    »Sich einen runterholen.«
    »Ha, ha, ha ...«
    Ich denke daran, dass ich eine Schreckschusspistole in der Tasche habe. Ich lese ein Schild neben dem Eingang, das »Betreten verboten - Lebensgefahr« besagt. Ich schalte meine Taschenlampe ein, öffne die marode Tür und betrete das Gebäude.
    Die Vibrationen der unterirdischen Discothekensäle von nebenan durchschütteln den alten Holzboden. Es stehen noch Tische und Stühle hier drin, die Bar, ein toter Geldspielautomat, ein zerbrochener Kicker. Staubgraue Gläser hinter der Theke, Flaschen mit festgeklumpten Resten darüber. Ich stelle mir vor, wie Räch, der Restauranttester, dieses Ding wieder flottmachen würde. Dann bemerke ich, dass ich während der verzweifelten Suche nach meinem Katersohn unwillkürlich an Räch, den Restauranttester denke. Sind wir eigentlich krank, so wie wir die Welt wahrnehmen? Was hat man mit uns gemacht?
    »Yannick?« Ich habe ein Krächzen in der Stimme, als hätte ich seit Stunden nicht gesprochen. »Yannick. Zeig dich doch. Wenn du irgendwo bist, zeig dich doch!«
    Ich öffne ein paar Schränke, und die Türen brechen ab. Ich öffne eine Tür zur ehemaligen Küche, es knirscht über mir, und ein altes Regal fällt mir in den Nacken. Ich stoße es fuchtelnd weg, da ich nicht weiß, ob feindselige Spinnen an dem alten Sperrholz kleben. Es bleibt auf den zerbrochenen Fliesen liegen, drei Schrauben ragen aus ihm heraus, die Dübel daran mit körnigem Putz überzogen. Eine Assel läuft über meine rechte Hand, mit der ich mich gerade abstütze. Ich schüttele sie ab und schreie. Dann sagt jemand: »Suchst du was?«
    Ich drehe mich um. Zwei junge Männer stehen in der Tür, weiß, blond, hager. Der Wortführer raucht. Sein Kumpel kaut Kaugummi und hält Baseballjacken mit Ärmeln aus weißem Leder immer noch für den letzten Schrei. Der Wortführer sächselt. »Können wir dir helfen?« Es klingt eher spöttisch als freundlich, aber das muss nichts heißen. Niemand ist freundlich in Berlin. Sie sind jung, sie sind auf Party, es ist 3 Uhr nachts oder später, sie suchen ein Abenteuer. Sie müssen nicht gleich Feinde sein.
    »Ich suche einen Kater«, sage ich und rappele mich auf. Es rieselt von meinen Klamotten. Das Regal hat Schürfwunden hinterlassen. »Einen schwarzen Kater. Ist heute Nacht aus der Wohnung gelaufen, drüben an der Afrikanischen Ecke Transvaal. Habt ihr ihn gesehen?«
    »Einen schwarzen Kater?«, fragt der sächselnde Wortführer und sieht seinen Baseballkumpel an, wie es früher in der Schule Dominik und Miguel taten, bevor sie mich nackt in einen Brennnesselbusch warfen. Der Baseballkumpel macht ein bedröppeltes Gesicht. Der Wortführer sagt: »Das tut uns echt leid, Mann.«
    »Was tut euch leid?«
    Der Wortführer sagt: »Komm mit.«
    Sie führen mich nach draußen auf den verrotteten Vorhof. Der Weg ist holprig, ich knicke fast um, die brusthohen Brennnesseln erwischen mich an Händen und Armen. Der Wortführer bleibt stehen, biegt einen Busch zur Seite und hockt sich neben einen alten Autoreifen. Die Farbe des Autoreifens verhindert, dass ich sofort erkennen kann, was ich nicht erkennen will, zumal die Straßenbeleuchtung von vorne schwerlich den Weg bis hier hinten findet. Ich traue mich kaum, in den Reifen zu leuchten. Ich wünsche mich auf der Stelle in meine Kindheit zurück, in die Badewanne eines Samstagnachmittags, wenn Mutter die Hähnchen zubereitet und alles seinen Gang geht. Ich will hier nicht stehen, zitternd, mitten in der Nacht, vor einem Autoreifen, aus dessen Mitte eigentlich hohe Grasbüschel und Disteln ragen mussten, was sie aber nicht tun. Ich halte die Luft an, lenke das

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