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Feindesland

Feindesland

Titel: Feindesland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Uschmann
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Licht genau in die Mitte und knicke ein, als ich darin eine reglose schwarze Katze liege sehe. Ich schreie nicht, ich weine nicht. Ich habe nur das Gefühl, dass eine Druckwelle aus mir herauswill, die hinter Mund, Nase, Ohren und Augen klemmt wie Wasser hinter einem Staudamm. Ich gehe vor dem Reifen in die Knie und berühre das Tier. Es ist bereits steif. Es liegt zusammengerollt, als hätte es sich diesen Platz zum Sterben ausgesucht. Es hat eine weiße Nase und weiße Pfoten. Es ist — nicht Yannick.
    Der Staudamm bricht, doch die Wassermasse dahinter hat sich eingedickt. Sie stürzt nicht ins Tal, sondern plumpst wie ein Klumpen Gallert zu Boden.
    »Ist er das?«, fragt der Wortführer.
    »Nein«, sage ich.
    »Gut«, sagt er. »Dann bringen wir den zum Chinesen, was?« Sein Kumpel lacht.
    »>Peking Garden< zahlt sicher 10 Euro dafür.« »>Jadehof< gibt 20, garantiert.«
    »Weiße Pfötchen geben einen Bonus. Die kann man besonders gut marinieren.«
    Ich stehe auf und drehe mich zu den beiden um. Es wirkt, als sei ich mit einem Mal einen Kopf größer geworden. Ich brülle: »Fresse! Haltet einfach eure dreckige, beschissene Fresse!«
    Der Wortführer hebt die Hände. »Ist ja gut, Alter. Ist doch nicht deine Katze!«
    »Na und? Es war ein lebendiges, wertvolles kleines Wesen. Wertvoller als ihr ganzen Idioten hier, die nur >Alter< und >Spast< sagen können und ihre Nächte in alten Ruinen verbringen, nachdem sie erfolglos versucht haben, im >Baal< Schlampen aus Moabit abzuschleppen.«
    »Pass auf, was du sagst ...«
    »Ich bin noch überhaupt nicht fertig.«
    »Hey, seht mal her«, sagt der Baseballjackenmann, der sich neben den Reifen gehockt hat. Er hat der Katze die Ohrchen zurückgeklappt, was lustig aussehen würde, wenn sie leben und dir auf dem Schoß sitzen würde. Nicht, wenn sie tot in einem Autoreifen im Wedding liegt. »Fehlt nur noch 'ne Brille, und sie sieht aus wie meine Mathelehrerin.« Der Typ lacht. Dreckig und dumm.
    Für sie ist alles nur ein Spaß. Tote Katzen, gemobbte Mitschüler, Gullideckel, die sie von Autobahnbrücken schmeißen, alles nur ein Spaß. In Windeseile bildet sich in mir neues Stauwasser. Millionen Liter davon. Der Damm hält nicht mal eine Sekunde. Ich will es auch nicht. Ich lasse ihn brechen. Ich ziehe die Gaspistole, die Avni mir gegeben hat, aus meiner Tasche.
    Der Wortführer weicht vor mir zurück und fuchtelt mit den Händen, entsetzt und mit weitaufgerissenen Augen. Sein Kumpel verliert das Gleichgewicht und fällt fast auf den Reifen. Er muss sich, um sich abzustützen, im toten Kater festkrallen. Er quiekt.
    »Scheiße, Mann, scheiße, lass das!«, stammelt der Wortführer. Er hat Tränen in den Augen, Todesangst. Ich erinnere mich daran, dass Avni gesagt hat, die Waffe sehe sehr echt aus. Ich stehe nachts um halb vier auf einem stockfinsteren Hinterhof in Berlin-Wedding und jage zwei jungen Männern, die in dieser Stadt alles erwarten, Todesangst ein. Mein Zorn verfliegt, und ich will zurücknehmen, was ich gerade tue.
    »Hey, ist gut...«, beginne ich zu sprechen und hebe beim Gestikulieren unwillkürlich die Waffe. »Wahl«, schreit der Wortführer. »Ich will euch nichts ...«
    Dann schreit mein Schienenbein. Der Kumpel am Reifen hat einen Stein genommen und mir ans Bein geschleudert. Wie heiße Lava schießt der Schmerz meinen Körper hinauf, und ehe ich mich versehe, springt mich der Wortführer an und versucht, mir die Waffe aus der Hand zu reißen. Sein Kumpel wuchtet sich auch bereits hoch, um ihn zu unterstützen. Jetzt bekomme ich Panik. Ich erinnere mich an meine Träume, in denen ich die Angreifer grundsätzlich töten muss, weil sie sonst nicht aufhören, und drücke, als wäre diese Logik unveränderlich, den Abzug. Ein lauter Knall ertönt, und mein Gegner weicht zurück und hält sich den Bauch. Es hat ihn nur die Druckwelle getroffen. Das Pfeffergas brennt in unser aller Augen, und wir taumeln würdelos und wie die Blinden durch das Brennnesselgestrüpp. So wäre die ganze Welt, gäbe es nur Männer, würde Caterina jetzt wieder sagen. Es wäre ein Planet voller taumelnder Idioten, die sich anschreien und anschießen.
    »Verdammt, verdammt, verdammt!«, brülle ich, mir die Augen reibend und auf perverse Art wieder mit den beiden vereint. »Wir hätten den Kleinen da einfach zu dritt beerdigen können. Hier. Heute Nacht. Hätten ein Bier auf ihn getrunken, in aller Würde. Aber nein, Würde ist euch scheißegal. Hauptsache, man kann jederzeit

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