Feindesland
instabil und voller scharfer Kanten. Wir kommen in einige Höfe, aber finden nur Klappmöbel mit abblätternder Farbe, Ecken voller Altholz und kaputter Fahrräder und Regentonnen, in deren Wasser lange Würmer herumschwimmen. Ein Mann schaltet in einem Fenster zum Hof das Licht ein und fragt, was wir hier mitten in der Nacht täten. Wir fragen ihn, ob er einen schwarzen Kater gesehen habe, und er sagt, das Einzige, was er gleich sehen werde, sei das Blaulicht der Polizei, die er gerufen habe.
Im »Pfefferkorn« hat die Wirtin keine Probleme mit fragenden Gästen um 1:30 Uhr in der Nacht, will uns aber zur Stärkung auf der Suche gerne ein paar doppelte Wodka-Cola verkaufen. Wir lehnen ab und schleichen uns durch die Büsche auf die Tennisanlage. Die Plätze wirken im Mondlicht wie Orte aus einer anderen Welt. Die Büsche und Zäune trennen sie nicht nur von der Straße, sondern vom ganzen Leben da draußen. Wer hier tagsüber den Ball schlägt, hört zwar die Busse und PKWs auf der Afrikanischen Straße und sieht bei jedem Lop des Gegners die oberen Stockwerke unserer Mietburg, kann sich aber trotzdem erfolgreich einbilden, in Monaco zu sein. Ich könnte unseren Kater verstehen, hätte er sich hier versteckt, oben im Schiedsrichterstuhl, auf das erste Match des Tages wartend. Doch auch hier ist er nicht.
Nach einer Dreiviertelstunde stehen wir wieder auf der Kreuzung zwischen unserem Mietblock, dem »Pfefferkorn«, dem gut verborgenen Tenniscourt und dem Bretterbudengelände der Russen. Hartmut schaut zu den Verschlagen. »Meinst du, die könnten ... ?«
Ich spüre Hitze in meinen Ohren. Warum haben wir nicht gleich dran gedacht? Hat Roland nicht mal so etwas erzählt? Oder Cevat? Dass sie sogar Haustiere entführen, wenn sie ihr Geld nicht bekommen? Hartmut und ich sehen uns an und gehen zeitgleich los, in geduckter Haltung huschen wir über die Straße und versuchen ebenfalls Schatten zu sein, wie die Männer, die diesen Ort sonst bevölkern. Wir schleichen zwischen den Hütten umher und horchen, hocken mit dem Rücken zur Wand unter Fenstern und öffnen behutsam Türen. Einer von uns betritt jede einzelne der verdammten Buden und leuchtet die Ecken aus, während der andere Schmiere steht. Der Strahl der Maglite trifft verrostete Metalltische, Spinnennetze in Fensterkreuzen und tote Weberknechte. Wir flüstern und rufen, doch es ist niemand hier. Kein Russe und kein Kater. Kein Verbrecher und kein unschuldiger Vierbeiner, der seit Stunden irgendwo durch Berlin irrt. Ich verlasse die letzte Hütte, unvorsichtig laut mit der Tür quietschend.
»Hier ist er nicht. Wenn sie ihn hätten, hätten sie sich gemeldet. Die Wohnungstür war abgeschlossen. Der Balkon war offen. Er ist abgehauen, Hartmut. Er ist einfach abgehauen!«
Mir stehen wieder die Tränen in den Augen. Im Haus gehen vereinzelt Lichter an. Im siebten Stock links. Im sechsten Stock rechts. Unsere Frauen befragen die Mieter, klingeln sie wach. Es ist 1:45 Uhr. Ob das ungefährlicher ist, als hier draußen zu sein?
»Wir teilen uns auf«, sage ich und ziehe die Nase hoch. »Ich gehe die Afrikanische und die Amrumer rauf bis zum Augustenburger Platz. Du gehst in den Park.«
»In den Park?« »Ja, in den Park!«
»Ich soll den Volkspark Rehberge bei Nacht durchkämmen? Da kann er überall sein.«
»Das ist es doch!« Ich schreie. Aus heiterem Himmel schreie ich wieder. Habe das Bedürfnis, Hartmut zu schlagen, mich selbst zu schlagen, alles in Stücke zu hauen wegen dieser Hilflosigkeit. Man fände einen Kater schon nicht in einem großen Schloss oder einer Villa mit vielen Kammern und großem Garten. Wir suchen ihn jetzt in Berlin. In ganz Berlin. Hartmut darf mich nicht daran erinnern, wie unmöglich das ist. Er darf es nicht. »Geh in den verfickten Park!!!«, brülle ich ihn an, und er steht noch einen Moment mit ernstem Gesicht im Schein meiner Lampe, bis er knapp »Okay« sagt, sich umdreht und losläuft.
Nach einer halben Stunde Suchen und Rufen in Büschen, unter Autos und in der Gartenkolonie Kamerun dringt Lärm an meine Ohren. Stimmengewirr und Flaschenklimpern, dazwischen immer mal wieder ein lautes »Bumm-Bumm«, als öffne jemand die Tür zur Hölle und schließe sie wieder. Die Tür zur Hölle ist die Tür zu einer Diskothek namens »Baal«. Ein paar Dutzend Leute stehen vor dem Eingang, Türsteher kontrollieren das große Stahltor, das in den Abgrund führt. Hier muss ich nicht suchen. Wäre Yannick hier vorbeigekommen, hätte er
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